Weber: "Was mir fehlt? Der WM-Titel!"

Er nahm an zwei Weltmeisterschaften teil, die dritte verpasste er wegen einer Operation zum dümmsten Zeitpunkt. Er war dabei, als das berühmteste Tor der Fußballgeschichte fiel. Geschossen hat er es nicht, aber ohne ihn wäre es gewiss nie gefallen. Er galt als "Klopper", doch vom Platz flog er in 14 Bundesligajahren nie. Er spielte als Profi nur für einen Verein. Nach der Karriere blieb er aktiv, forschte über Sepp Herberger und jätet heute Unkraut in seinem Stadtteil - der Umwelt zuliebe. Wolfgang Weber hat ein interessantes Leben, immer noch. Heute wird er 75 Jahre. Auch darüber spricht er im DFB.de-Interview mit Mitarbeiter Udo Muras.

DFB.de: Herr Weber, zum Einstieg die obligatorische Geburtstagsfrage: Wie geht es Ihnen?

Wolfgang Weber: Es geht mir gut. Ich bin jeden Tag 15 bis 30 Kilometer mit dem Rad unterwegs und kaum zuhause. Am Wochenende schaue ich den Alten Herren meines Heimatklubs aus Porz zu. Hier werde ich auch im kleinen Kreis feiern, direkt am Rhein. 

DFB.de: Stimmt es, was bei Wikipedia steht: Sie pflegen Grünflächen in Porz?

Weber: Ja. Ich möchte meine Umgebung schön haben - und nicht nur ich. Wir sind eine Rentnergang aus fünf Männern und zwei Frauen und jäten beispielsweise Unkraut an öffentlichen Plätzen. Die Stadt macht zwar einiges, aber zu wenig.

DFB.de: Für Ordnung haben Sie auch schon als Spieler gesorgt - im eigenen Strafraum. Als Vorstopper oder Libero spielten sie von 1963 bis 1977 genau 356-mal in der Bundesliga für den 1. FC Köln, wurden Meister und DFB-Pokalsieger. Für Deutschland spielten Sie 53-mal. Hat Ihnen was gefehlt in Ihrer Karrierebilanz?

Weber: Ja! Der Weltmeistertitel!

DFB.de: Womit wir zu Wembley kommen. Bei Ihrer ersten WM-Teilnahme 1966 erreichten Sie mit dem DFB-Team gleich das Finale. Deutschland verlor gegen England 2:4 nach Verlängerung. Tut es noch weh?

Weber: Wenn man schon in einem Finale steht, will man es auch gewinnen. Aber das ist Schnee von Vorgestern. Und wissen Sie was: Ich habe nach dem Spiel so viele Briefe und Karten erhalten von Menschen, die sich für unsere sportliche Betragensweise bedankt haben. Dass wir uns 20 Jahre nach dem Krieg vor den Augen der Welt so gut verkauft hatten, im Land eines ehemaligen Kriegsgegners, das ist auch ein Wert an sich.

DFB.de: Das zielte auch darauf ab, wie die Mannschaft das berühmte Wembley-Tor hingenommen hat. Ohne Sie, das darf man wohl sagen, wäre es nie gefallen.

Weber: Das stimmt. Allein schon, weil ich ja in letzter Minute den Ausgleich erzielt hatte, der die Verlängerung erst ermöglichte.

DFB.de: Was empfanden Sie in dem Moment? Sie waren ja eher fürs Tore verhindern zuständig, schossen nur zwei Treffer in Länderspielen.

Weber: Also ich wüsste viele, die gerne mal zwei Tore gemacht hätten. (lacht) Es war gigantisch für mich als jungen Kerl von 22. Wir waren ja nur noch am Drücker, von der Bank draußen kamen hektische Zurufe wie "alles nach vorne". Ich bin automatisch mitgelaufen. Dann gab es den Freistoß von Emmerich, Schnellinger fälscht ihn ab und plötzlich liegt der Ball vor mir. Ich hab nur gedacht: Schnell rein damit, ist gleich Schluss. Und ich hab' ihn reingedrückt, 93.000 Engländer waren entsetzt. Gut, dass ich in meiner Jugend im Sturm gespielt hatte.

DFB.de: So ging es in die Verlängerung, dort fiel in der 101. Minute das berühmte Wembley-Tor durch Geoff Hurst. Fiel es auch, weil Sie den Ball, der von der Latte auf die Linie geprallt war - wie alle Deutschen glauben -, zur Ecke köpften?

Weber: Das kann man spekulieren. Sonst hätte es keine Unterbrechung gegeben und Schiedsrichter Dienst hätte seinen Linienrichter Bachramow wohl nie befragt. Aber ich sage bis heute: Es war die einzig richtige Entscheidung, ich musste die Gefahr bereinigen.

DFB.de: Wie war es denn nun? War der Ball drin oder nicht?

Weber: Ich habe es auch nicht gesehen, unser Torwart Hans Tilkowski hat meine Sicht verdeckt. Ich habe mich nur gewundert, dass der Ball dann wieder aus dem Tor heraussprang. Das wäre doch gar nicht möglich gewesen, wenn er vorher im Tor gewesen wäre, so rein physikalisch, oder? Deshalb habe ich auch dem Bobby Charlton, der wie alle Engländer jubelte, die Arme gleich wieder runter gerissen.

DFB.de: Es half nichts, Dienst gab Tor - weil Bachramow es ihm sagte. Wie reagierten Sie?

Weber: Der Franz Beckenbauer, Wolfgang Overath und ich sind zu Bachramow gerannt - die drei Jüngsten also haben sich kurz beschwert. Dann kam unser Kapitän Uwe Seeler und hat uns quasi weggeschickt. Damit war es erledigt. So einfach war das damals. Wir haben uns auch nicht mehr groß aufgeregt, als das 2:4 fiel, bei dem schon sechs, sieben feiernde Zuschauer auf dem Platz waren. Dienst hat das nicht gesehen, oder er wollte es nicht sehen. Stellen Sie sich so was heute mal vor!

DFB.de: Sie waren auch bei der nächsten WM in Mexiko dabei, als Deutschland sich wieder sehr gut verkaufte und ehrenvoller Dritter wurde. Doch da spielten Sie nur eine Nebenrolle. Wie fällt Ihr Mexiko-Fazit aus?

Weber: In der Vorrunde habe ich nur 20 Minuten gespielt und in Leon den Franz Beckenbauer gegen Bulgarien abgelöst. Aber dadurch, dass ich das Spiel um Platz drei gegen Uruguay komplett gemacht habe, bin ich auch damit zufrieden. Ich war nur froh, als ich es überstanden hatte. Mir fehlte die Spielpraxis, und schon beim Warmlaufen dachte ich: Mir platzt gleich die Brust. Da merkte ich erst, was die Jungs in den Spielen zuvor geleistet hatten in dieser Höhenluft. Mein Freund Wolfgang Overath, der quasi die ganze Karriere an meiner Seite stand, hat damals sein bestes Länderspiel überhaupt gemacht und das goldene Tor geschossen.

DFB.de: Overath war auch vier Jahre später dabei, als Deutschland im eigenen Land Weltmeister wurde. Sie nicht, obwohl Sie noch bis im April 1974 im Kader standen. Warum?

Weber: Das habe ich mich auch gefragt. In meinem letzten Spiel in Spanien, einem 0:1, war ich laut kicker der beste Mann, habe noch den Pfosten getroffen. Plötzlich war ich nicht mehr dabei. Ich habe dafür nie eine Begründung erhalten von Helmut Schön und das WM-Aus von einem Journalisten erfahren. Da ist eine Welt in mir zusammengebrochen. Als Zuschauer sah ich dann immerhin das 4:2 gegen Schweden in Düsseldorf, das war meine Teilnahme an der WM 1974… 

DFB.de: Sie waren ja auch nicht dabei, als die Schallplatte aufgenommen wurde für den WM-Song "Fußball ist unser Leben".

Weber: Das stimmt natürlich. Vielleicht kam ich nicht zur WM, weil ich kein guter Sänger war…

DFB.de: Die Nationalmannschaft ließ Sie trotzdem nicht los. Sie wollten ja mal eine Diplomarbeit über Sepp Herberger schreiben. Was wurde daraus?

Weber: Ich war damals an der Kölner Sporthochschule, da machte ich meine Trainerlizenz. Mich interessierte der Fußball in Kriegszeiten, Deutschland trug zwischen 1939 und 1942 ja noch 35 Länderspiele aus. Ich wollte wissen, wie das möglich war, und mich durch das Sepp-Herberger-Archiv wühlen, aber private Angelegenheiten ließen mich davon Abstand nehmen.

DFB.de: Sie kommen nicht davon ohne die berühmte Geschichte von Rotterdam. März 1965, das Entscheidungsspiel im Landesmeisterpokal gegen Liverpool, das durch einen Münzwurf gegen Köln entschieden wurde. Sie brachen sich das Wadenbein. Sind Sie wirklich in der Kabine von der Massagebank gesprungen, um zu testen, ob Sie weiterspielen können?

Weber: Ja. Aber ich glaube, ich war damals schon so clever, dass ich mit dem gesunden linken Bein aufgekommen bin.  Die Geschichte hatte ihr Gutes. Mein Fall hat dazu beigetragen, dass endlich Auswechslungen eingeführt wurden - da bin ich mir sicher.

[um]

Er nahm an zwei Weltmeisterschaften teil, die dritte verpasste er wegen einer Operation zum dümmsten Zeitpunkt. Er war dabei, als das berühmteste Tor der Fußballgeschichte fiel. Geschossen hat er es nicht, aber ohne ihn wäre es gewiss nie gefallen. Er galt als "Klopper", doch vom Platz flog er in 14 Bundesligajahren nie. Er spielte als Profi nur für einen Verein. Nach der Karriere blieb er aktiv, forschte über Sepp Herberger und jätet heute Unkraut in seinem Stadtteil - der Umwelt zuliebe. Wolfgang Weber hat ein interessantes Leben, immer noch. Heute wird er 75 Jahre. Auch darüber spricht er im DFB.de-Interview mit Mitarbeiter Udo Muras.

DFB.de: Herr Weber, zum Einstieg die obligatorische Geburtstagsfrage: Wie geht es Ihnen?

Wolfgang Weber: Es geht mir gut. Ich bin jeden Tag 15 bis 30 Kilometer mit dem Rad unterwegs und kaum zuhause. Am Wochenende schaue ich den Alten Herren meines Heimatklubs aus Porz zu. Hier werde ich auch im kleinen Kreis feiern, direkt am Rhein. 

DFB.de: Stimmt es, was bei Wikipedia steht: Sie pflegen Grünflächen in Porz?

Weber: Ja. Ich möchte meine Umgebung schön haben - und nicht nur ich. Wir sind eine Rentnergang aus fünf Männern und zwei Frauen und jäten beispielsweise Unkraut an öffentlichen Plätzen. Die Stadt macht zwar einiges, aber zu wenig.

DFB.de: Für Ordnung haben Sie auch schon als Spieler gesorgt - im eigenen Strafraum. Als Vorstopper oder Libero spielten sie von 1963 bis 1977 genau 356-mal in der Bundesliga für den 1. FC Köln, wurden Meister und DFB-Pokalsieger. Für Deutschland spielten Sie 53-mal. Hat Ihnen was gefehlt in Ihrer Karrierebilanz?

Weber: Ja! Der Weltmeistertitel!

DFB.de: Womit wir zu Wembley kommen. Bei Ihrer ersten WM-Teilnahme 1966 erreichten Sie mit dem DFB-Team gleich das Finale. Deutschland verlor gegen England 2:4 nach Verlängerung. Tut es noch weh?

Weber: Wenn man schon in einem Finale steht, will man es auch gewinnen. Aber das ist Schnee von Vorgestern. Und wissen Sie was: Ich habe nach dem Spiel so viele Briefe und Karten erhalten von Menschen, die sich für unsere sportliche Betragensweise bedankt haben. Dass wir uns 20 Jahre nach dem Krieg vor den Augen der Welt so gut verkauft hatten, im Land eines ehemaligen Kriegsgegners, das ist auch ein Wert an sich.

DFB.de: Das zielte auch darauf ab, wie die Mannschaft das berühmte Wembley-Tor hingenommen hat. Ohne Sie, das darf man wohl sagen, wäre es nie gefallen.

Weber: Das stimmt. Allein schon, weil ich ja in letzter Minute den Ausgleich erzielt hatte, der die Verlängerung erst ermöglichte.

DFB.de: Was empfanden Sie in dem Moment? Sie waren ja eher fürs Tore verhindern zuständig, schossen nur zwei Treffer in Länderspielen.

Weber: Also ich wüsste viele, die gerne mal zwei Tore gemacht hätten. (lacht) Es war gigantisch für mich als jungen Kerl von 22. Wir waren ja nur noch am Drücker, von der Bank draußen kamen hektische Zurufe wie "alles nach vorne". Ich bin automatisch mitgelaufen. Dann gab es den Freistoß von Emmerich, Schnellinger fälscht ihn ab und plötzlich liegt der Ball vor mir. Ich hab nur gedacht: Schnell rein damit, ist gleich Schluss. Und ich hab' ihn reingedrückt, 93.000 Engländer waren entsetzt. Gut, dass ich in meiner Jugend im Sturm gespielt hatte.

DFB.de: So ging es in die Verlängerung, dort fiel in der 101. Minute das berühmte Wembley-Tor durch Geoff Hurst. Fiel es auch, weil Sie den Ball, der von der Latte auf die Linie geprallt war - wie alle Deutschen glauben -, zur Ecke köpften?

Weber: Das kann man spekulieren. Sonst hätte es keine Unterbrechung gegeben und Schiedsrichter Dienst hätte seinen Linienrichter Bachramow wohl nie befragt. Aber ich sage bis heute: Es war die einzig richtige Entscheidung, ich musste die Gefahr bereinigen.

DFB.de: Wie war es denn nun? War der Ball drin oder nicht?

Weber: Ich habe es auch nicht gesehen, unser Torwart Hans Tilkowski hat meine Sicht verdeckt. Ich habe mich nur gewundert, dass der Ball dann wieder aus dem Tor heraussprang. Das wäre doch gar nicht möglich gewesen, wenn er vorher im Tor gewesen wäre, so rein physikalisch, oder? Deshalb habe ich auch dem Bobby Charlton, der wie alle Engländer jubelte, die Arme gleich wieder runter gerissen.

DFB.de: Es half nichts, Dienst gab Tor - weil Bachramow es ihm sagte. Wie reagierten Sie?

Weber: Der Franz Beckenbauer, Wolfgang Overath und ich sind zu Bachramow gerannt - die drei Jüngsten also haben sich kurz beschwert. Dann kam unser Kapitän Uwe Seeler und hat uns quasi weggeschickt. Damit war es erledigt. So einfach war das damals. Wir haben uns auch nicht mehr groß aufgeregt, als das 2:4 fiel, bei dem schon sechs, sieben feiernde Zuschauer auf dem Platz waren. Dienst hat das nicht gesehen, oder er wollte es nicht sehen. Stellen Sie sich so was heute mal vor!

DFB.de: Sie waren auch bei der nächsten WM in Mexiko dabei, als Deutschland sich wieder sehr gut verkaufte und ehrenvoller Dritter wurde. Doch da spielten Sie nur eine Nebenrolle. Wie fällt Ihr Mexiko-Fazit aus?

Weber: In der Vorrunde habe ich nur 20 Minuten gespielt und in Leon den Franz Beckenbauer gegen Bulgarien abgelöst. Aber dadurch, dass ich das Spiel um Platz drei gegen Uruguay komplett gemacht habe, bin ich auch damit zufrieden. Ich war nur froh, als ich es überstanden hatte. Mir fehlte die Spielpraxis, und schon beim Warmlaufen dachte ich: Mir platzt gleich die Brust. Da merkte ich erst, was die Jungs in den Spielen zuvor geleistet hatten in dieser Höhenluft. Mein Freund Wolfgang Overath, der quasi die ganze Karriere an meiner Seite stand, hat damals sein bestes Länderspiel überhaupt gemacht und das goldene Tor geschossen.

DFB.de: Overath war auch vier Jahre später dabei, als Deutschland im eigenen Land Weltmeister wurde. Sie nicht, obwohl Sie noch bis im April 1974 im Kader standen. Warum?

Weber: Das habe ich mich auch gefragt. In meinem letzten Spiel in Spanien, einem 0:1, war ich laut kicker der beste Mann, habe noch den Pfosten getroffen. Plötzlich war ich nicht mehr dabei. Ich habe dafür nie eine Begründung erhalten von Helmut Schön und das WM-Aus von einem Journalisten erfahren. Da ist eine Welt in mir zusammengebrochen. Als Zuschauer sah ich dann immerhin das 4:2 gegen Schweden in Düsseldorf, das war meine Teilnahme an der WM 1974… 

DFB.de: Sie waren ja auch nicht dabei, als die Schallplatte aufgenommen wurde für den WM-Song "Fußball ist unser Leben".

Weber: Das stimmt natürlich. Vielleicht kam ich nicht zur WM, weil ich kein guter Sänger war…

DFB.de: Die Nationalmannschaft ließ Sie trotzdem nicht los. Sie wollten ja mal eine Diplomarbeit über Sepp Herberger schreiben. Was wurde daraus?

Weber: Ich war damals an der Kölner Sporthochschule, da machte ich meine Trainerlizenz. Mich interessierte der Fußball in Kriegszeiten, Deutschland trug zwischen 1939 und 1942 ja noch 35 Länderspiele aus. Ich wollte wissen, wie das möglich war, und mich durch das Sepp-Herberger-Archiv wühlen, aber private Angelegenheiten ließen mich davon Abstand nehmen.

DFB.de: Sie kommen nicht davon ohne die berühmte Geschichte von Rotterdam. März 1965, das Entscheidungsspiel im Landesmeisterpokal gegen Liverpool, das durch einen Münzwurf gegen Köln entschieden wurde. Sie brachen sich das Wadenbein. Sind Sie wirklich in der Kabine von der Massagebank gesprungen, um zu testen, ob Sie weiterspielen können?

Weber: Ja. Aber ich glaube, ich war damals schon so clever, dass ich mit dem gesunden linken Bein aufgekommen bin.  Die Geschichte hatte ihr Gutes. Mein Fall hat dazu beigetragen, dass endlich Auswechslungen eingeführt wurden - da bin ich mir sicher.

###more###