Uwe Rahn und das schnellste Joker-Tor der DFB-Geschichte

Uwe Rahn (57) benötigte nur einen Ballkontakt, um Länderspielgeschichte zu schreiben. Am 17. Oktober 1984 wurde Rahn beim WM-Qualifikationsspiel in Köln in der 75. Spielminute von Teamchef Franz Beckenbauer für Felix Magath eingewechselt, 19 Sekunden später lag der Ball im Netz. Es war Rahns Debüt für Deutschland, und bis heute hat kein Debütant schneller getroffen. 35 Jahre später erinnert sich Rahn im DFB.de-Interview an diese 19 Sekunden und an seine Zeit in der Nationalmannschaft.

DFB.de: Herr Rahn, wenn Bundestrainer Joachim Löw heute einen Spieler nominiert, greift er zum Handy und ruft ihn an. Wie war das damals bei Ihnen? Waren Sie überrascht, als Franz Beckenbauer sich gemeldet hat?

Uwe Rahn: Sagen wir mal so: Es kam nicht aus dem Nichts. Ich hatte damals in Gladbach über längere Zeit eine gute Phase, habe gut gespielt, vorbereitet, getroffen. Und mein Name wurde in der Presse immer häufiger mit der Nationalmannschaft in Verbindung gebracht. Franz Beckenbauer hatte sich dann gegenüber Medienvertretern auch in diese Richtung geäußert. Eines Tages hatte ich dann in meiner Post einen Brief vom DFB, in dem mir mitgeteilt wurde, dass ich für das Spiel gegen Schweden nominiert bin. Völlig überraschend war das dann nicht.

DFB.de: Hat die Nominierung dennoch etwas mit Ihnen gemacht? Oder haben Sie die Nominierung eher nüchtern zur Kenntnis genommen?

Rahn: Natürlich war es toll, ich war stolz und habe es allen erzählt. Die Nominierung war ein Privileg für mich, eine große Bestätigung. Ich weiß noch, dass wir kurz vor dem Treffen mit der Nationalmannschaft und kurz nach der Nominierung mit Gladbach gegen Braunschweig gespielt haben. Wir haben 10:0 gewonnen, ich habe drei Tore gemacht. Man kann also sagen, dass mich die Nominierung beflügelt hat.

DFB.de: Hat Ihnen Jupp Heynckes, Ihr Trainer in Gladbach, bei der Abreise zur Nationalmannschaft noch etwas mit auf den Weg gegeben?

Rahn: Er hat sich für mich gefreut, hat mir gesagt, dass ich diese Einladung verdient habe. Er hat versucht, mir Selbstvertrauen zu geben und geraten, keine besonderen Dinge zu versuchen. Spiel Dein Spiel, hat er gesagt, sei locker, alles andere ergibt sich dann.

DFB.de: Als Neuling werden Sie nach der Ankunft beim Team in Hennef ziemlich schnell ein Gespräch mit dem Teamchef gehabt haben. Erinnern Sie sich noch daran?

Rahn: Nicht mehr an Details. Es war ein normales Gespräch. Was ich noch weiß: Franz hat mir keine Versprechungen gemacht. Er hat gesagt, dass er mal schauen muss, wie das Spiel läuft und dass er zunächst auf andere Spieler setzt. Als ehrgeiziger Spieler ist man da natürlich erstmal enttäuscht, aber mit Abstand von 35 Jahren habe ich mehr Verständnis. Es war das erste Spiel in der Qualifikation, zum Kader gehörten Spieler wie Karl-Heinz Rummenigge, Rudi Völler, dahinter Klaus Allofs und Felix Magath. Das waren Größen – und ich war ein junger Spieler. Da ist es nachvollziehbar, wenn der Trainer zunächst auf die erfahreneren Spieler setzt.

DFB.de: Wie waren ansonsten Ihre ersten Eindrücke im Kreis der besten Fußballer des Landes? Wie sind Sie aufgenommen worden bei der Nationalmannschaft?

Rahn: Die Situation ist speziell, und man macht sich vorher durchaus seine Gedanken. Eine gewisse Aufgeregtheit kann ich nicht leugnen. Ein paar Spieler waren mir zwar besser bekannt, Lothar Matthäus, Frank Mill, Andy Brehme, aber viele auch nur flüchtig von kurzen Begegnungen im Rahmen der Bundesligaspiele. Aber ich weiß noch, wie angenehm das Ankommen war. Ich habe mich sehr schnell sehr wohl gefühlt, die Atmosphäre war kollegial und positiv. Niemand war überheblich, alle waren sehr offen.

DFB.de: Sie haben sich das Zimmer einmal mit Karl-Heinz Rummenigge geteilt. Wie war er als Zimmerpartner?

Rahn: Nicht beim Schweden-Spiel, aber später. Es war gut, wir haben uns richtig gut verstanden. Abends haben wir oft nach dem Essen noch ein Bier zusammen getrunken und uns auch später im Zimmer noch lange unterhalten. Auch über Dinge, die mit Fußball nichts zu tun haben. Rummenigge hat mir in vielen Belangen geholfen, über ihn kann ich wirklich nur Positives sagen.

DFB.de: Das Spiel gegen Schweden war das erste Pflichtspiel von Franz Beckenbauer als Teamchef, es sollte das erste Länderspiel von Uwe Rahn werden und es war das erste Spiel, vor dem die Mannschaft geschlossen die Nationalhymne mitgesungen hat. Wie ist das entstanden?

Rahn: Es gab im Vorfeld die klare Ansage, die Hymne mitzusingen. Das haben wir dann gemacht. Viele von uns mussten dafür den Text erst noch lernen, auch ich. Im Rückblick ist dieses Bild fast niedlich - wir haben auf den Zimmern gesessen und die Hymne geübt. Das Thema hat sich ja auch erst später in eine ganz andere Richtung entwickelt. Für uns war völlig klar, dass wir singen. Es ging dabei aber nicht um ein Statement oder so, sondern schlicht und einfach darum, zu befolgen, was der Teamchef von uns verlangt hat.

DFB.de: Sie haben auf der Bank gesessen. Hat auch die Bank mitgesungen?

Rahn: Ja, und wie!

DFB.de: Rein ins Spiel. Deutschland ist überlegen, diverse Chancen werden vergeben, Thomas Ravelli im Tor der Schweden erwischt einen Sahne-Tag. Hand aufs Herz: Stieg mit jeder vergebenen Möglichkeit Ihre Hoffnung, noch zum Debüt zu kommen?

Rahn: Nein, nein, nein. Das hat ja auch etwas mit dem Charakter zu tun. Natürlich habe ich gehofft, irgendwann eingewechselt zu werden. Aber Fußballer sind Mannschaftsspieler, aus Egoismus der eigenen Mannschaft den Erfolg zu missgönnen – das funktioniert nicht. Es war auch nicht so, dass ich dieses Spiel als meine einzige und letzte Chance in der Nationalmannschaft gesehen habe. Ich war selbstbewusst, ich war mir sicher, früher oder später meine Chance in der Nationalmannschaft zu bekommen.

DFB.de: Sie sollten noch im Spiel gegen Schweden Ihre Chance bekommen. Irgendwann kam von Beckenbauer das Signal: Bitte warmmachen.

Rahn: Ja. Und ab diesem Zeitpunkt herrschte eine einzigartige Stimmung in Köln. Ich hatte eine sehr gute Quote in diesem Stadion, mit Gladbach hatte ich beim FC fast immer getroffen. Irgendwie lag eine Spannung in der Luft. "Jetzt läuft er sich warm, jetzt passiert etwas" - dieser Gedanke in den Köpfen der Fans war fühlbar.

DFB.de: Gab es vor der Einwechslung berühmte letzte Worte von Franz Beckenbauer?

Rahn: Etwas Positives und Aufmunterndes. An den Wortlaut kann ich mich nicht mehr erinnern.

DFB.de: Sie waren auf dem Platz – und wenig später lag der Ball im Netz. Welche Worte haben Sie für die 19 Sekunden zwischen Einwechslung und Ihrem Tor?

Rahn: Ich habe gesehen, wie Allofs sich im Mittelfeld gegen zwei Schweden durchsetzt, hab' gesehen, dass ein Passweg auf mich offen ist, hab' ihm mit einer Geste bedeutet, wo ich den Ball hinhaben will, er hat den Ball optimal getimt, ich schließ' ab, der Ball geht an Ravelli vorbei, Innenpfosten, rein, Tor. So lässt sich der Vorgang beschreiben, aber so richtig begreifen lässt er sich wohl nicht. Es war ein Traum, den ich gar nicht geträumt hatte. Beim ersten Länderspiel mit dem ersten Ballkontakt das erste Tor zu erzielen – das ist schon sehr, sehr speziell.

DFB.de: Bei Ihrem Abschluss gab es zwei Optionen: Unter Ravelli durch, flach ins kurz Eck, oder der Lupfer in die lange Ecke.

Rahn: Obwohl es schon so lange her ist, weiß ich noch, welchen Gedanken ich hatte, als Ravelli auf mich zugelaufen kam. Es wäre auch denkbar gewesen, den Ball mit dem Außenrist im Bogen links um ihn herum zu zirkeln. Aber als er noch näherkam, war für mich die Option "unten" die Beste. Wobei bei so einem Treffer auch einiges Zufall ist. Das Tor hatte ich gar nicht mehr im Blick. Für mich war die Aufgabe zunächst, den Ball unter dem fallenden Ravelli hindurch zu bekommen. Dass er dann so knapp und über Bande ins Tor geht – das war einfach auch Glück.

DFB.de: Sie sind im Jubel über die Tartanbahn gerannt und haben Gelb bekommen.

Rahn: Was habe ich bekommen?

DFB.de: Die Gelbe Karte.

Rahn: Das ist mir neu. Oder doch, kann sein. Viel präsenter ist mir aber noch, dass mir ein Ordner um den Hals gefallen ist und ich deswegen nicht so jubeln konnte, wie ich wollte.

DFB.de: Gab es nach dem Spiel Feedback durch Franz Beckenbauer?

Rahn: Ich hatte ein Einzelgespräch mit ihm und – soweit ich weiß – hatten wir am folgenden Tag auch noch eine Teamsitzung. Natürlich hat er mich gelobt und mich aufgefordert dran zu bleiben und so weiterzumachen.

DFB.de: Sie waren vorher schon prominent, aber das Spiel und Ihr Treffer haben Sie schlagartig auch überregional zum Star gemacht. Wie haben Sie den Hype um Ihre Person erlebt?

Rahn: Die Leute haben mich überall erkannt, haben mich angesprochen und wollten Autogramme. Auch die Medien haben sich sehr für mich interessiert. Und ganz ehrlich: Ich habe das genossen. Mir hat das geschmeichelt, mein Ego wurde gestreichelt. Ich habe damals viele Dinge erleben können, die für einen jungen Spieler alles andere als gewöhnlich waren. Ich habe vieles davon sehr gerne mitgenommen.

DFB.de: Ihre Länderspielkarriere war mit dem Debüt nicht zu Ende. Es folgten noch 13 weitere Spiele.

Rahn: Zu wenig.

DFB.de: War das Spiel gegen Schweden schon der Höhepunkt Ihrer Zeit beim DFB?

Rahn: Ich habe noch ein paar Spiele gemacht und auch noch ein paar Mal getroffen – aber ganz klar: Am Erlebnis Schweden, an mein Debüt und das Tor kommt nichts anderes ran.

DFB.de: Auch nicht die WM 1986 in Mexiko? Sie sind Vizeweltmeister.

Rahn: Für mich war es ein grandioses Erlebnis, bei dieser WM dabei zu sein. Erst recht mit der Vorgeschichte.

DFB.de: Ihr Bänderriss.

Rahn: Genau. Beim Waldlauf war ich auf eine Wurzel getreten. Nicht wenige haben mir danach nicht zugetraut, dass ich es zur WM schaffen würde. Aber ich habe es geschafft. Vor Ort war es ein überwältigendes und faszinierendes Erlebnis. So eine WM aus der Perspektive eines Spielers zu erleben - wer träumt nicht davon? Es war Wahnsinn!

DFB.de: Aber Sie waren enttäuscht, dass Sie im gesamten Turnier nicht zum Einsatz gekommen sind.

Rahn: Ich konnte meine Rolle ganz gut einschätzen. Ich war noch immer ein junger Spieler, ich war Herausforderer und mir war auch klar, dass Beckenbauer eher erst auf andere setzt. Trotzdem war es natürlich mein Ziel, der Mannschaft zu helfen, zu spielen und Tore zu erzielen. Dass ich überhaupt keine Möglichkeit bekommen habe, mich zu zeigen, war natürlich nicht einfach. Vor dem letzten Gruppenspiel gegen Dänemark waren wir schon für das Achtelfinale qualifiziert, in diesem Spiel, fand ich damals, hätte ich eine Chance verdient gehabt.

DFB.de: Und heute? Wie sehen Sie Beckenbauers Entscheidungen im Rückblick?

Rahn: Es ist lange her. Ich hege keinen Groll. Ich habe viel mitgenommen aus Mexiko und denke lieber an die vielen positiven Erlebnisse. Ich weiß noch, wie ich beim Endspiel aus der Kabine kam und mir Diego Maradona über den Weg lief. Das bedeutet mir etwas. Es ist ja nicht Nichts, es bis dahin geschafft zu haben. Ich habe von der WM profitiert, auch vom Training bei der Nationalmannschaft.

DFB.de: Es folgte Ihre beste Saison, in der Spielzeit 1986/1987 wurden Sie mit 24 Toren Torschützenkönig und zum Fußballer des Jahres gewählt. Besteht ein Zusammenhang zwischen der WM in Mexiko und Ihren starken Leistungen in der folgenden Spielzeit?

Rahn: Vielleicht. Jedenfalls habe ich keinen Knacks bekommen.

DFB.de: Nach der besten Spielzeit Ihrer Karriere folgte für Sie lediglich noch ein Länderspiel. Können Sie heute erklären, warum es für Sie nicht mehr so positiv weiterging?

Rahn: Es sind viele Kleinigkeiten. Viele Blessuren haben mich aus dem Tritt gebracht, ich kann auch ehrlich zugeben, dass meine Leistung nicht immer so gestimmt hat. Andere haben ihre Chance bekommen und genutzt. Und ich war dann relativ schnell nicht mehr gefragt.

DFB.de: Wie zufrieden sind Sie mit Ihrer Karriere insgesamt?

Rahn: Ich hätte gerne noch mehr Spiele mit der Nationalmannschaft gemacht und ich hätte gerne auch mal einen Titel mit meinen Mannschaften gewonnen. Das fehlt mir. Aber ich habe mir den Traum von der Bundesliga erfüllt und ich habe mir den Traum von der Nationalmannschaft erfüllt. Ich glaube, dass ich viel mehr richtig als falsch gemacht habe. Ich habe viele tolle Menschen kennengelernt, habe viele interessante Erfahrungen gemacht. Der Fußball war für mich ein wesentliches Kapitel eines bislang großartigen Lebens. Wie könnte ich da nicht zufrieden sein?!

[sl/um]

Uwe Rahn (57) benötigte nur einen Ballkontakt, um Länderspielgeschichte zu schreiben. Am 17. Oktober 1984 wurde Rahn beim WM-Qualifikationsspiel in Köln in der 75. Spielminute von Teamchef Franz Beckenbauer für Felix Magath eingewechselt, 19 Sekunden später lag der Ball im Netz. Es war Rahns Debüt für Deutschland, und bis heute hat kein Debütant schneller getroffen. 35 Jahre später erinnert sich Rahn im DFB.de-Interview an diese 19 Sekunden und an seine Zeit in der Nationalmannschaft.

DFB.de: Herr Rahn, wenn Bundestrainer Joachim Löw heute einen Spieler nominiert, greift er zum Handy und ruft ihn an. Wie war das damals bei Ihnen? Waren Sie überrascht, als Franz Beckenbauer sich gemeldet hat?

Uwe Rahn: Sagen wir mal so: Es kam nicht aus dem Nichts. Ich hatte damals in Gladbach über längere Zeit eine gute Phase, habe gut gespielt, vorbereitet, getroffen. Und mein Name wurde in der Presse immer häufiger mit der Nationalmannschaft in Verbindung gebracht. Franz Beckenbauer hatte sich dann gegenüber Medienvertretern auch in diese Richtung geäußert. Eines Tages hatte ich dann in meiner Post einen Brief vom DFB, in dem mir mitgeteilt wurde, dass ich für das Spiel gegen Schweden nominiert bin. Völlig überraschend war das dann nicht.

DFB.de: Hat die Nominierung dennoch etwas mit Ihnen gemacht? Oder haben Sie die Nominierung eher nüchtern zur Kenntnis genommen?

Rahn: Natürlich war es toll, ich war stolz und habe es allen erzählt. Die Nominierung war ein Privileg für mich, eine große Bestätigung. Ich weiß noch, dass wir kurz vor dem Treffen mit der Nationalmannschaft und kurz nach der Nominierung mit Gladbach gegen Braunschweig gespielt haben. Wir haben 10:0 gewonnen, ich habe drei Tore gemacht. Man kann also sagen, dass mich die Nominierung beflügelt hat.

DFB.de: Hat Ihnen Jupp Heynckes, Ihr Trainer in Gladbach, bei der Abreise zur Nationalmannschaft noch etwas mit auf den Weg gegeben?

Rahn: Er hat sich für mich gefreut, hat mir gesagt, dass ich diese Einladung verdient habe. Er hat versucht, mir Selbstvertrauen zu geben und geraten, keine besonderen Dinge zu versuchen. Spiel Dein Spiel, hat er gesagt, sei locker, alles andere ergibt sich dann.

DFB.de: Als Neuling werden Sie nach der Ankunft beim Team in Hennef ziemlich schnell ein Gespräch mit dem Teamchef gehabt haben. Erinnern Sie sich noch daran?

Rahn: Nicht mehr an Details. Es war ein normales Gespräch. Was ich noch weiß: Franz hat mir keine Versprechungen gemacht. Er hat gesagt, dass er mal schauen muss, wie das Spiel läuft und dass er zunächst auf andere Spieler setzt. Als ehrgeiziger Spieler ist man da natürlich erstmal enttäuscht, aber mit Abstand von 35 Jahren habe ich mehr Verständnis. Es war das erste Spiel in der Qualifikation, zum Kader gehörten Spieler wie Karl-Heinz Rummenigge, Rudi Völler, dahinter Klaus Allofs und Felix Magath. Das waren Größen – und ich war ein junger Spieler. Da ist es nachvollziehbar, wenn der Trainer zunächst auf die erfahreneren Spieler setzt.

DFB.de: Wie waren ansonsten Ihre ersten Eindrücke im Kreis der besten Fußballer des Landes? Wie sind Sie aufgenommen worden bei der Nationalmannschaft?

Rahn: Die Situation ist speziell, und man macht sich vorher durchaus seine Gedanken. Eine gewisse Aufgeregtheit kann ich nicht leugnen. Ein paar Spieler waren mir zwar besser bekannt, Lothar Matthäus, Frank Mill, Andy Brehme, aber viele auch nur flüchtig von kurzen Begegnungen im Rahmen der Bundesligaspiele. Aber ich weiß noch, wie angenehm das Ankommen war. Ich habe mich sehr schnell sehr wohl gefühlt, die Atmosphäre war kollegial und positiv. Niemand war überheblich, alle waren sehr offen.

DFB.de: Sie haben sich das Zimmer einmal mit Karl-Heinz Rummenigge geteilt. Wie war er als Zimmerpartner?

Rahn: Nicht beim Schweden-Spiel, aber später. Es war gut, wir haben uns richtig gut verstanden. Abends haben wir oft nach dem Essen noch ein Bier zusammen getrunken und uns auch später im Zimmer noch lange unterhalten. Auch über Dinge, die mit Fußball nichts zu tun haben. Rummenigge hat mir in vielen Belangen geholfen, über ihn kann ich wirklich nur Positives sagen.

DFB.de: Das Spiel gegen Schweden war das erste Pflichtspiel von Franz Beckenbauer als Teamchef, es sollte das erste Länderspiel von Uwe Rahn werden und es war das erste Spiel, vor dem die Mannschaft geschlossen die Nationalhymne mitgesungen hat. Wie ist das entstanden?

Rahn: Es gab im Vorfeld die klare Ansage, die Hymne mitzusingen. Das haben wir dann gemacht. Viele von uns mussten dafür den Text erst noch lernen, auch ich. Im Rückblick ist dieses Bild fast niedlich - wir haben auf den Zimmern gesessen und die Hymne geübt. Das Thema hat sich ja auch erst später in eine ganz andere Richtung entwickelt. Für uns war völlig klar, dass wir singen. Es ging dabei aber nicht um ein Statement oder so, sondern schlicht und einfach darum, zu befolgen, was der Teamchef von uns verlangt hat.

DFB.de: Sie haben auf der Bank gesessen. Hat auch die Bank mitgesungen?

Rahn: Ja, und wie!

DFB.de: Rein ins Spiel. Deutschland ist überlegen, diverse Chancen werden vergeben, Thomas Ravelli im Tor der Schweden erwischt einen Sahne-Tag. Hand aufs Herz: Stieg mit jeder vergebenen Möglichkeit Ihre Hoffnung, noch zum Debüt zu kommen?

Rahn: Nein, nein, nein. Das hat ja auch etwas mit dem Charakter zu tun. Natürlich habe ich gehofft, irgendwann eingewechselt zu werden. Aber Fußballer sind Mannschaftsspieler, aus Egoismus der eigenen Mannschaft den Erfolg zu missgönnen – das funktioniert nicht. Es war auch nicht so, dass ich dieses Spiel als meine einzige und letzte Chance in der Nationalmannschaft gesehen habe. Ich war selbstbewusst, ich war mir sicher, früher oder später meine Chance in der Nationalmannschaft zu bekommen.

DFB.de: Sie sollten noch im Spiel gegen Schweden Ihre Chance bekommen. Irgendwann kam von Beckenbauer das Signal: Bitte warmmachen.

Rahn: Ja. Und ab diesem Zeitpunkt herrschte eine einzigartige Stimmung in Köln. Ich hatte eine sehr gute Quote in diesem Stadion, mit Gladbach hatte ich beim FC fast immer getroffen. Irgendwie lag eine Spannung in der Luft. "Jetzt läuft er sich warm, jetzt passiert etwas" - dieser Gedanke in den Köpfen der Fans war fühlbar.

DFB.de: Gab es vor der Einwechslung berühmte letzte Worte von Franz Beckenbauer?

Rahn: Etwas Positives und Aufmunterndes. An den Wortlaut kann ich mich nicht mehr erinnern.

DFB.de: Sie waren auf dem Platz – und wenig später lag der Ball im Netz. Welche Worte haben Sie für die 19 Sekunden zwischen Einwechslung und Ihrem Tor?

Rahn: Ich habe gesehen, wie Allofs sich im Mittelfeld gegen zwei Schweden durchsetzt, hab' gesehen, dass ein Passweg auf mich offen ist, hab' ihm mit einer Geste bedeutet, wo ich den Ball hinhaben will, er hat den Ball optimal getimt, ich schließ' ab, der Ball geht an Ravelli vorbei, Innenpfosten, rein, Tor. So lässt sich der Vorgang beschreiben, aber so richtig begreifen lässt er sich wohl nicht. Es war ein Traum, den ich gar nicht geträumt hatte. Beim ersten Länderspiel mit dem ersten Ballkontakt das erste Tor zu erzielen – das ist schon sehr, sehr speziell.

DFB.de: Bei Ihrem Abschluss gab es zwei Optionen: Unter Ravelli durch, flach ins kurz Eck, oder der Lupfer in die lange Ecke.

Rahn: Obwohl es schon so lange her ist, weiß ich noch, welchen Gedanken ich hatte, als Ravelli auf mich zugelaufen kam. Es wäre auch denkbar gewesen, den Ball mit dem Außenrist im Bogen links um ihn herum zu zirkeln. Aber als er noch näherkam, war für mich die Option "unten" die Beste. Wobei bei so einem Treffer auch einiges Zufall ist. Das Tor hatte ich gar nicht mehr im Blick. Für mich war die Aufgabe zunächst, den Ball unter dem fallenden Ravelli hindurch zu bekommen. Dass er dann so knapp und über Bande ins Tor geht – das war einfach auch Glück.

DFB.de: Sie sind im Jubel über die Tartanbahn gerannt und haben Gelb bekommen.

Rahn: Was habe ich bekommen?

DFB.de: Die Gelbe Karte.

Rahn: Das ist mir neu. Oder doch, kann sein. Viel präsenter ist mir aber noch, dass mir ein Ordner um den Hals gefallen ist und ich deswegen nicht so jubeln konnte, wie ich wollte.

DFB.de: Gab es nach dem Spiel Feedback durch Franz Beckenbauer?

Rahn: Ich hatte ein Einzelgespräch mit ihm und – soweit ich weiß – hatten wir am folgenden Tag auch noch eine Teamsitzung. Natürlich hat er mich gelobt und mich aufgefordert dran zu bleiben und so weiterzumachen.

DFB.de: Sie waren vorher schon prominent, aber das Spiel und Ihr Treffer haben Sie schlagartig auch überregional zum Star gemacht. Wie haben Sie den Hype um Ihre Person erlebt?

Rahn: Die Leute haben mich überall erkannt, haben mich angesprochen und wollten Autogramme. Auch die Medien haben sich sehr für mich interessiert. Und ganz ehrlich: Ich habe das genossen. Mir hat das geschmeichelt, mein Ego wurde gestreichelt. Ich habe damals viele Dinge erleben können, die für einen jungen Spieler alles andere als gewöhnlich waren. Ich habe vieles davon sehr gerne mitgenommen.

DFB.de: Ihre Länderspielkarriere war mit dem Debüt nicht zu Ende. Es folgten noch 13 weitere Spiele.

Rahn: Zu wenig.

DFB.de: War das Spiel gegen Schweden schon der Höhepunkt Ihrer Zeit beim DFB?

Rahn: Ich habe noch ein paar Spiele gemacht und auch noch ein paar Mal getroffen – aber ganz klar: Am Erlebnis Schweden, an mein Debüt und das Tor kommt nichts anderes ran.

DFB.de: Auch nicht die WM 1986 in Mexiko? Sie sind Vizeweltmeister.

Rahn: Für mich war es ein grandioses Erlebnis, bei dieser WM dabei zu sein. Erst recht mit der Vorgeschichte.

DFB.de: Ihr Bänderriss.

Rahn: Genau. Beim Waldlauf war ich auf eine Wurzel getreten. Nicht wenige haben mir danach nicht zugetraut, dass ich es zur WM schaffen würde. Aber ich habe es geschafft. Vor Ort war es ein überwältigendes und faszinierendes Erlebnis. So eine WM aus der Perspektive eines Spielers zu erleben - wer träumt nicht davon? Es war Wahnsinn!

DFB.de: Aber Sie waren enttäuscht, dass Sie im gesamten Turnier nicht zum Einsatz gekommen sind.

Rahn: Ich konnte meine Rolle ganz gut einschätzen. Ich war noch immer ein junger Spieler, ich war Herausforderer und mir war auch klar, dass Beckenbauer eher erst auf andere setzt. Trotzdem war es natürlich mein Ziel, der Mannschaft zu helfen, zu spielen und Tore zu erzielen. Dass ich überhaupt keine Möglichkeit bekommen habe, mich zu zeigen, war natürlich nicht einfach. Vor dem letzten Gruppenspiel gegen Dänemark waren wir schon für das Achtelfinale qualifiziert, in diesem Spiel, fand ich damals, hätte ich eine Chance verdient gehabt.

DFB.de: Und heute? Wie sehen Sie Beckenbauers Entscheidungen im Rückblick?

Rahn: Es ist lange her. Ich hege keinen Groll. Ich habe viel mitgenommen aus Mexiko und denke lieber an die vielen positiven Erlebnisse. Ich weiß noch, wie ich beim Endspiel aus der Kabine kam und mir Diego Maradona über den Weg lief. Das bedeutet mir etwas. Es ist ja nicht Nichts, es bis dahin geschafft zu haben. Ich habe von der WM profitiert, auch vom Training bei der Nationalmannschaft.

DFB.de: Es folgte Ihre beste Saison, in der Spielzeit 1986/1987 wurden Sie mit 24 Toren Torschützenkönig und zum Fußballer des Jahres gewählt. Besteht ein Zusammenhang zwischen der WM in Mexiko und Ihren starken Leistungen in der folgenden Spielzeit?

Rahn: Vielleicht. Jedenfalls habe ich keinen Knacks bekommen.

DFB.de: Nach der besten Spielzeit Ihrer Karriere folgte für Sie lediglich noch ein Länderspiel. Können Sie heute erklären, warum es für Sie nicht mehr so positiv weiterging?

Rahn: Es sind viele Kleinigkeiten. Viele Blessuren haben mich aus dem Tritt gebracht, ich kann auch ehrlich zugeben, dass meine Leistung nicht immer so gestimmt hat. Andere haben ihre Chance bekommen und genutzt. Und ich war dann relativ schnell nicht mehr gefragt.

DFB.de: Wie zufrieden sind Sie mit Ihrer Karriere insgesamt?

Rahn: Ich hätte gerne noch mehr Spiele mit der Nationalmannschaft gemacht und ich hätte gerne auch mal einen Titel mit meinen Mannschaften gewonnen. Das fehlt mir. Aber ich habe mir den Traum von der Bundesliga erfüllt und ich habe mir den Traum von der Nationalmannschaft erfüllt. Ich glaube, dass ich viel mehr richtig als falsch gemacht habe. Ich habe viele tolle Menschen kennengelernt, habe viele interessante Erfahrungen gemacht. Der Fußball war für mich ein wesentliches Kapitel eines bislang großartigen Lebens. Wie könnte ich da nicht zufrieden sein?!

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