Schweinsteiger: "Die Vorfreude wächst weiter"

Lange war er verletzt, jetzt ist er zurück. Bastian Schweinsteiger nimmt die Rolle ein, die Bundestrainer Joachim Löw von ihm erwartet. Gemeinsam mit Kapitän Philipp Lahm führt Schweinsteiger die Mannschaft an, auf dem Platz und daneben.

Im team.dfb.de-Interview mit Redakteur Steffen Lüdeke hat Schweinsteiger vor dem EM-Viertelfinale am Freitag (ab 20.45 Uhr, live im ZDF) in Danzig gegen Griechenland über das Meer, seine Stellung im Team und die EM-Chancen gesprochen.

team.dfb.de: Herr Schweinsteiger, Sie haben den freien Nachmittag gestern genutzt, um in Danzig zu bummeln. Wie wars?

Bastian Schweinsteiger: Es tat gut, mal rauszukommen. Es war eine willkommene Abwechslung. Mir war es wichtig, auch was von Danzig kennenzulernen. Ich finde es gut, wenn man nicht nur im Hotel ist, sondern auch etwas über die Gegend und den Ort erfährt, an dem man sich so lange aufhält. In Südafrika haben wir uns beispielsweise Johannesburg angeschaut und auch eine Führung durch Kapstadt gemacht. Ich finde das richtig, und - wie man im Spiel gegen Argentinien gesehen hat - es steht dem sportlichen Erfolg auch nicht entgegen.

team.dfb.de: Ihnen müssten die Stadt Danzig und die Gegend hier gefallen, Sie mögen Cafés, sie mögen das Meer, hier gibt es Cafés am Meer...

Schweinsteiger: Mir hat die Danziger Altstadt sehr gut gefallen. Und Sopot auch, es ist moderner, es liegt am Meer. Mir gefällt das.

team.dfb.de: Können Sie beschreiben, warum Sie das Meer mögen?

Schweinsteiger: Die Luft ist ganz anders. Es riecht nach Urlaub, alles ist entspannt, die Sonne scheint. Ich mag die Wärme mehr als die Kälte.

team.dfb.de: Eine philosophische Ebene hat Ihre Leidenschaft für das Meer nicht? Dass die Größe des Meeres das eigene Sein kleiner erscheinen lässt.

Schweinsteiger: Doch, auch. Das Meer hat auf mich eine beruhigende Wirkung. Das erlebe ich aber auch in den Bergen in Bayern. Das Panorama dort ist atemraubend und gigantisch. Ich mache gerne auch Ausflüge dorthin.

team.dfb.de: Sie wirken zielstrebig und konzentriert. Können Sie bei einem solchen Ausflug überhaupt abschalten?

Schweinsteiger: Es ist wichtig, das zu können. Ich denke bei einem Turnier fast permanent an Fußball, daran, was wir noch besser machen können. Ich denke viel über Kleinigkeiten und über das große Ganze nach und beschäftige mich ständig mit unserem Spiel. Umso wichtiger ist die Abwechslung. So mache ich es auch in München. Ich wohne zwar in der Stadt, suche aber immer wieder auch meine Ruhe. Ich brauche dieses Mischung, zwischen Ruhe und Anspannung, zwischen Fußball und "normalem Leben".

team.dfb.de: Holger Badstuber und Philipp Lahm haben gesagt, dass das Spiel gegen Chelsea auch einen guten Effekt hatte: Die Gier nach neuem Erfolg ist danach noch größer geworden. Sehen Sie das auch so?

Schweinsteiger: Die Gier war bei mir schon lange vor dem Finale da. Als ich gehört habe, dass das Finale in München stattfindet, war meine Motivation ständig top. Mittlerweile kann ich ganz gut damit umgehen, dass die Gier nicht befriedigt worden ist. Das hat auch damit zu tun, dass es bestimmte Gründe dafür gab, dass wir dieses Spiel nicht gewonnen haben. Hätte es diese Gründe nicht gegeben, dann wäre es viel schwieriger gewesen, die Niederlage zu verarbeiten.

team.dfb.de: Weil Sie dann mit dem Schicksal hadern würden?

Schweinsteiger: Die Niederlage wäre für mich viel schwieriger zu akzeptieren, wenn wir alles richtig gemacht und trotzdem verloren hätten. Aber so war es nicht. Im Fußball entscheiden viele Kleinigkeiten darüber, ob man ein Spiel gewinnt. Chelsea hat nicht viel für das Spiel gemacht, aber sie haben aus ihren Möglichkeiten das Maximale herausgeholt. Sie hatten zwar in der einen oder anderen Situation auch das Quäntchen Glück, aber sie haben ihre Kleinigkeiten besser beherrscht als wir. Erst im Elfmeterschießen spielt der Faktor Glück dann eher eine entscheidende Rolle.

team.dfb.de: Also doch Schicksal?

Schweinsteiger: Ja, aber ich hadere nicht damit. Vor diesem Spiel waren zwei Geschichten möglich: Der erste Verein, der den Titel im eigenen Stadion gewinnt. Mit einer jungen Mannschaft. Oder ein Team holt den Titel, in dem viele ältere Spieler stehen, die wahrscheinlich nie wieder so ein Endspiel erleben werden. Und zudem die Mannschaft, die das Finale vor vier Jahren tragisch im Elfmeterschießen verloren hat.

team.dfb.de: Ist der Druck bei der EM für Sie höher, weil Sie den Titel in der Champions League nicht gewonnen haben?

Schweinsteiger: Was ist Druck? Uns allen geht es sehr gut. Druck haben Menschen, die um ihre Existenz kämpfen oder die in großer Not sind. Ich empfinde eher einen Reiz. Es reizt mich, mit der Mannschaft bei dieser EM das auszureizen, was sie maximal kann. Es ist im Grunde ganz simpel: Wenn wir das konstant schaffen, dann werden wir auch Titel gewinnen. Ich spüre aber keinen Druck, dies zu müssen. Mich reizt es eher, die Vorraussetzungen dafür zu schaffen.

team.dfb.de: Können Sie nachvollziehen, wie sich Spieler fühlen, die in der Relegation gegen den Abstieg spielen?

Schweinsteiger: Nein. Zum Glück habe ich das noch nie erlebt. Vielleicht würde ich dann doch von Druck sprechen.

team.dfb.de: Würden Sie der These zustimmen, dass die deutsche Mannschaft bei der WM 2010 viel von Begeisterung gelebt hat und diesmal viel von Effizienz?

Schweinsteiger: Nur bedingt. So leicht war die Vorrunde in Südafrika nicht. Gegen Ghana hatten wir schon das erste Endspiel. Auch die Spiele gegen England und Argentinien waren schwer. Das Ergebnis war zwar beeindruckend, aber die Arbeit war nicht einfach. In beiden Spielen haben wir es geschafft, kompakt und eng zu stehen und sehr schnell umzuschalten. Durch die Tore haben wir uns das Spiel dann einfacher gemacht. Ich hoffe, dass wir dies hier auch im weiteren Verlauf des Turniers hinbekommen.

team.dfb.de: Wenn man die aktuelle Mannschaft gegen die von 2010 spielen lassen könnte - wer würde gewinnen?

Schweinsteiger: Wir hatten damals eine gute Mannschaft, wir haben jetzt eine gute Mannschaft. Worin sie sich unterscheiden, ist die Erfahrung. In Südafrika waren zehn Spieler dabei, die zum ersten Mal ein großes Turnier gespielt haben. Diese Spieler sind jetzt wieder dabei und wissen viel besser, wie man sich verhalten muss, wenn man bei einem Turnier Erfolg haben will.

team.dfb.de: Sie haben ebenfalls mehr Erfahrung, auch in der Rolle als Führungsspieler.

Schweinstiger: Diese Rolle hatte ich ja auch schon vor der WM 2010. Jeder Spieler muss für die Mannschaft Verantwortung übernehmen. Aber natürlich muss es auch Spieler geben, die in engen Situationen die Richtung vorgeben und die richtigen Worte finden. Das ist nicht immer leicht.

team.dfb.de: Vor allem mental.

Schweinsteiger: Ich hätte das früher nie gedacht. Zu Beginn meiner Karriere haben Spieler wie Michael Ballack, Oliver Kahn und Jens Lehmann davon gesprochen, wie Kräfte zehrend ihre Rolle ist. Ich habe das damals nicht ernst genommen, jetzt erlebe ich es selber. Vor allem auf dem Platz. Man nimmt tausend Dinge wahr, die Augen müssen weit sein, man muss sich auf sehr viele Dinge konzentrieren. Ich merke oft nach dem Spiel, dass ich nicht durch die körperliche Anstrengung müde bin, sondern im Kopf. Extrem war es nach dem Spiel in der Champions League in Madrid. Ich war noch nie nach einem Spiel so fertig wie nach dem Madrid-Spiel. Wie gesagt: vor allem im Kopf. Diese Müdigkeit habe ich auch nach dem Spiel gegen Dänemark gemeint. Ich weiß, dass viele das nicht nachvollziehen können, aber es ist so. Hinzu kommt, dass ich nicht nur für mich spiele, sondern ich will für 82 Millionen Deutsche erfolgreich sein. Auch die Herausforderung, für die Fans das Maximale aus sich herauszuholen, kostet geistige Energie.

team.dfb.de: Haben Sie spezielle Methoden, den Kopf auf diese Beanspruchung vorzubereiten?

Schweinsteiger: Ich unterhalte mich gerne mit Menschen, die selber Extremsituationen für den Kopf bewältigen müssen. Wie zum Beispiel mit dem Skifahrer Felix Neureuther, den ich zufällig auch privat gut kenne. Er muss in den zwei Minuten auf der Piste zu 1000 Prozent konzentriert sein. In meiner Zeit als Skifahrer habe ich das selber erlebt. Es ist nicht einfach, wenn man nach dem ersten Durchgang führt und dann oben im Wartehäuschen mitbekommt, wie die Konkurrenz eine Bestzeit nach der anderen fährt. Man steht dann dort, ist der allerletzte Fahrer, muss runter und darf keinen Fehler machen. Von Felix und von anderen zu hören, wie sie diese totale Konzentration hinbekommen, ist für mich interessant. Auch Gespräche mit Formel-1-Fahrern sind spannend.

team.dfb.de: Dann suchen Sie den Austausch mit Spitzensportlern aus anderen Bereichen.

Schweinsteiger: Ja. Aber nicht nur. In meinem Umfeld gibt es viele Leute, die schon sehr viel erlebt haben. Aber der Kreis an Personen, die mich verstehen, ist relativ klein.

team.dfb.de: Finden Sie das schade?

Schweinsteiger: Es ist halt so. Es ist doch klar, dass nur wenige Menschen nachvollziehen können, wie es ist, sich auf ganz hohem Niveau zu bewegen. Nur wenige verstehen und wissen, welche Aufgaben die einzelnen Spieler auf dem Platz haben. Die Leute sehen das Tor und sie jubeln dem Schützen zu. Den Ballverlust davor oder den entscheidenden Laufweg, um einem anderen einen freien Raum zu verschaffen - all das wird selten wahrgenommen. Mir macht es aber Spaß, mich mit Menschen auszutauschen, die auf dem Platz Dinge sehen, die andere nicht sehen.

team.dfb.de: Zum Beispiel?

Schweinsteiger: Wenn man fragt, wer der wichtigste Spieler beim FC Barcelona ist, werden fast immer die Namen von Xavi und Iniesta genannt.

team.dfb.de: Und das stimmt nicht?

Schweinsteiger: Wichtig sind sie, keine Frage. Aber für mich ist Carles Puyol die entscheidende Figur. Er führt die Mannschaft an. Mit seiner ganzen Art ist er für das Team entscheidend, auch wenn andere rein fußballerisch besser sind.

team.dfb.de: Was ist für den Erfolg der deutschen Mannschaft der entscheidende Faktor?

Schweinsteiger: Für mich ist es entscheidend, dass wir mit der Mannschaft und den Trainern eine Linie haben und mit dem Betreuerstab eine geschlossene Einheit bilden. Wir können uns alle ehrlich die Meinung sagen, und es kommt nichts raus. So muss es sein. Ganz wichtig ist dieses Mannschaftsgefühl, der Gemeinschaftssinn. Wenn man das Gefühl hat: Da entsteht was.

team.dfb.de: Entsteht hier etwas?

Schweinsteiger: Ja, ich spüre das.

team.dfb.de: Drei Spiele, drei Siege - die Bilanz der DFB-Auswahl ist perfekt. Wie zufrieden sind Sie mit der Vorrunde?

Schweinsteiger: Letztendlich bin ich glücklich darüber, dass es so gelaufen ist. Neun Punkte aus drei Spielen, das hätten wir im Vorfeld sofort unterschrieben. Wir haben es im Allgemeinen sehr gut gemacht. Aber im Spiel gibt es immer Situationen, in denen es hätte anders laufen können. Van Persie hätte das 1:0 machen können, Jakob Poulsen hat den Außenpfosten getroffen. Ich will das nicht zu negativ darstellen, aber es ist auch nicht sinnvoll, so zu tun, als hätte es diese Szenen nicht gegeben. Wir haben uns falsch verhalten, wir hätten jeweils noch einen Tick enger zusammenstehen müssen. Wir müssen daraus lernen. Wenn wir das tun, werden wir solche Spiele künftig souveräner gestalten. Und wir müssten weniger Aufwand betreiben.

team.dfb.de: Haben Sie das Spiel zwischen Kroatien und Spanien gesehen?

Schweinsteiger: Ja.

team.dfb.de: Sie sind froh, dass Spanien noch im Turnier ist?

Schweinsteiger: Die Spanier gehören zu den Topmannschaften, sie gehören ins Viertelfinale. Natürlich ist der Titelverteidiger ein großer Konkurrent von uns, und wenn er nicht mehr dabei wäre, wäre auf dem Weg zum großen Ziel ein großer Steine weniger aus dem Weg zu räumen.

team.dfb.de: Sie sind aber nicht bekannt dafür, den leichten Weg zu suchen.

Schweinsteiger: Ich will immer die beste Mannschaft schlagen. Erfolge sind ehrlicher, wenn man den harten Weg gehen musste. Aber ich würde den Titel nicht ablehnen, wenn wir auf dem Weg dorthin Spanien nicht schlagen mussten. (lacht)

team.dfb.de: Sie haben kürzlich gesagt, dass Sie glauben, dass Spanien nur auf "die deutsche Art" zu schlagen ist. Was ist die deutsche Art?

Schweinsteiger: Laufbereitschaft, Kampf, unbedingter Einsatzwille, Leidenschaft. Das, was uns immer ausgezeichnet hat, das, worum uns die anderen immer beneiden. Für diese Attribute stehen wir noch immer, das merke ich häufig, wenn ich mich mit Spielern aus dem Ausland unterhalte. Und niemand sieht das negativ. Aber: Diese Tugenden stehen nicht mehr alleine. Wir haben zum Glück mittlerweile viele Spieler bei uns, die technisch gut sind, die fußballerisch gut sind, die spielintelligent sind, die gute Laufwege machen. Dieses gesamte Paket ist die deutsche Art. Wenn wir diese beiden Komponenten vereinen, dann ist es möglich, die Spanier zu schlagen.

team.dfb.de: Zunächst geht es gegen Griechenland. Viele werten dies als leichtes Los. Wie ist Ihre Einschätzung?

Schweinsteiger: Es ist immer schwierig, gegen Gegner zu spielen, die defensiv stehen und die durch Konter zum Erfolg kommen wollen. Wir benötigen einen Plan, der uns aufzeigt, wie man einem solchen Gegner wehtun kann. Wir haben großen Respekt vor den Griechen. Sie haben sich in einer Gruppe durchgesetzt, wo alle gedacht haben, dass es sehr schwer für sie wird. Sie haben es geschafft, das ist stark. Wir wissen aber, dass es am Freitag nur an uns liegt, ob wir gewinnen oder nicht. Wenn wir unsere Stärken einbringen, werden wir die Griechen schlagen. Wir dürfen nur nicht den Fehler machen, die Griechen zu unterschätzen. Ich hoffe auch, dass unsere Fans in Deutschland verstehen, dass wir noch nicht im Halbfinale sind.

team.dfb.de: Wie meinen Sie das?

Schweinsteiger: Wir freuen uns über den großen Rückhalt. Wenn man gesehen hat, wie viele Fans bei unseren Spielen in der Ukraine in den Stadien waren, wie wir von ihnen unterstützt worden sind - das ist Wahnsinn. Genau so etwas brauchen wir weiter. Gegen Dänemark haben uns die Fans in der zweiten Halbzeit so lange nach vorne gepeitscht, bis wir das 2:1 gemacht haben. Die Unterstützung aus ganz Deutschland und der Fans vor Ort zu spüren, ist gerade für unsere junge Mannschaft enorm wichtig. Ich würde mich sehr freuen, wenn wir weiter unterstützt werden, auch wenn wir "nur" 1:0 gewinnen und das Spiel zäh läuft.

team.dfb.de: Mit welcher Empfindung gehen Sie in so ein Spiel: Vorfreude?

Schweinsteiger: Unglaublich. Schon die Vorfreude auf das Turnier war gewaltig. Jetzt, wo wir die Gruppenphase überstanden haben, wächst sie weiter. Durch die Siege ist auch das Selbstvertrauen gewachsen. Ich spüre einen großen Drang in mir, ein perfektes Spiel zu liefern. Ich hoffe, dass wir dem gegen Griechenland nahe kommen.

Das meinen DFB.de-User

"DANKE, team.dfb.de! Ein geniales Interview. Alles Gute dem Team, und wir freuen uns auf das Spiel gegen die Griechen!" (Mareen Wendt)

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Lange war er verletzt, jetzt ist er zurück. Bastian Schweinsteiger nimmt die Rolle ein, die Bundestrainer Joachim Löw von ihm erwartet. Gemeinsam mit Kapitän Philipp Lahm führt Schweinsteiger die Mannschaft an, auf dem Platz und daneben.

Im team.dfb.de-Interview mit Redakteur Steffen Lüdeke hat Schweinsteiger vor dem EM-Viertelfinale am Freitag (ab 20.45 Uhr, live im ZDF) in Danzig gegen Griechenland über das Meer, seine Stellung im Team und die EM-Chancen gesprochen.

team.dfb.de: Herr Schweinsteiger, Sie haben den freien Nachmittag gestern genutzt, um in Danzig zu bummeln. Wie wars?

Bastian Schweinsteiger: Es tat gut, mal rauszukommen. Es war eine willkommene Abwechslung. Mir war es wichtig, auch was von Danzig kennenzulernen. Ich finde es gut, wenn man nicht nur im Hotel ist, sondern auch etwas über die Gegend und den Ort erfährt, an dem man sich so lange aufhält. In Südafrika haben wir uns beispielsweise Johannesburg angeschaut und auch eine Führung durch Kapstadt gemacht. Ich finde das richtig, und - wie man im Spiel gegen Argentinien gesehen hat - es steht dem sportlichen Erfolg auch nicht entgegen.

team.dfb.de: Ihnen müssten die Stadt Danzig und die Gegend hier gefallen, Sie mögen Cafés, sie mögen das Meer, hier gibt es Cafés am Meer...

Schweinsteiger: Mir hat die Danziger Altstadt sehr gut gefallen. Und Sopot auch, es ist moderner, es liegt am Meer. Mir gefällt das.

team.dfb.de: Können Sie beschreiben, warum Sie das Meer mögen?

Schweinsteiger: Die Luft ist ganz anders. Es riecht nach Urlaub, alles ist entspannt, die Sonne scheint. Ich mag die Wärme mehr als die Kälte.

team.dfb.de: Eine philosophische Ebene hat Ihre Leidenschaft für das Meer nicht? Dass die Größe des Meeres das eigene Sein kleiner erscheinen lässt.

Schweinsteiger: Doch, auch. Das Meer hat auf mich eine beruhigende Wirkung. Das erlebe ich aber auch in den Bergen in Bayern. Das Panorama dort ist atemraubend und gigantisch. Ich mache gerne auch Ausflüge dorthin.

team.dfb.de: Sie wirken zielstrebig und konzentriert. Können Sie bei einem solchen Ausflug überhaupt abschalten?

Schweinsteiger: Es ist wichtig, das zu können. Ich denke bei einem Turnier fast permanent an Fußball, daran, was wir noch besser machen können. Ich denke viel über Kleinigkeiten und über das große Ganze nach und beschäftige mich ständig mit unserem Spiel. Umso wichtiger ist die Abwechslung. So mache ich es auch in München. Ich wohne zwar in der Stadt, suche aber immer wieder auch meine Ruhe. Ich brauche dieses Mischung, zwischen Ruhe und Anspannung, zwischen Fußball und "normalem Leben".

team.dfb.de: Holger Badstuber und Philipp Lahm haben gesagt, dass das Spiel gegen Chelsea auch einen guten Effekt hatte: Die Gier nach neuem Erfolg ist danach noch größer geworden. Sehen Sie das auch so?

Schweinsteiger: Die Gier war bei mir schon lange vor dem Finale da. Als ich gehört habe, dass das Finale in München stattfindet, war meine Motivation ständig top. Mittlerweile kann ich ganz gut damit umgehen, dass die Gier nicht befriedigt worden ist. Das hat auch damit zu tun, dass es bestimmte Gründe dafür gab, dass wir dieses Spiel nicht gewonnen haben. Hätte es diese Gründe nicht gegeben, dann wäre es viel schwieriger gewesen, die Niederlage zu verarbeiten.

team.dfb.de: Weil Sie dann mit dem Schicksal hadern würden?

Schweinsteiger: Die Niederlage wäre für mich viel schwieriger zu akzeptieren, wenn wir alles richtig gemacht und trotzdem verloren hätten. Aber so war es nicht. Im Fußball entscheiden viele Kleinigkeiten darüber, ob man ein Spiel gewinnt. Chelsea hat nicht viel für das Spiel gemacht, aber sie haben aus ihren Möglichkeiten das Maximale herausgeholt. Sie hatten zwar in der einen oder anderen Situation auch das Quäntchen Glück, aber sie haben ihre Kleinigkeiten besser beherrscht als wir. Erst im Elfmeterschießen spielt der Faktor Glück dann eher eine entscheidende Rolle.

team.dfb.de: Also doch Schicksal?

Schweinsteiger: Ja, aber ich hadere nicht damit. Vor diesem Spiel waren zwei Geschichten möglich: Der erste Verein, der den Titel im eigenen Stadion gewinnt. Mit einer jungen Mannschaft. Oder ein Team holt den Titel, in dem viele ältere Spieler stehen, die wahrscheinlich nie wieder so ein Endspiel erleben werden. Und zudem die Mannschaft, die das Finale vor vier Jahren tragisch im Elfmeterschießen verloren hat.

team.dfb.de: Ist der Druck bei der EM für Sie höher, weil Sie den Titel in der Champions League nicht gewonnen haben?

Schweinsteiger: Was ist Druck? Uns allen geht es sehr gut. Druck haben Menschen, die um ihre Existenz kämpfen oder die in großer Not sind. Ich empfinde eher einen Reiz. Es reizt mich, mit der Mannschaft bei dieser EM das auszureizen, was sie maximal kann. Es ist im Grunde ganz simpel: Wenn wir das konstant schaffen, dann werden wir auch Titel gewinnen. Ich spüre aber keinen Druck, dies zu müssen. Mich reizt es eher, die Vorraussetzungen dafür zu schaffen.

team.dfb.de: Können Sie nachvollziehen, wie sich Spieler fühlen, die in der Relegation gegen den Abstieg spielen?

Schweinsteiger: Nein. Zum Glück habe ich das noch nie erlebt. Vielleicht würde ich dann doch von Druck sprechen.

team.dfb.de: Würden Sie der These zustimmen, dass die deutsche Mannschaft bei der WM 2010 viel von Begeisterung gelebt hat und diesmal viel von Effizienz?

Schweinsteiger: Nur bedingt. So leicht war die Vorrunde in Südafrika nicht. Gegen Ghana hatten wir schon das erste Endspiel. Auch die Spiele gegen England und Argentinien waren schwer. Das Ergebnis war zwar beeindruckend, aber die Arbeit war nicht einfach. In beiden Spielen haben wir es geschafft, kompakt und eng zu stehen und sehr schnell umzuschalten. Durch die Tore haben wir uns das Spiel dann einfacher gemacht. Ich hoffe, dass wir dies hier auch im weiteren Verlauf des Turniers hinbekommen.

team.dfb.de: Wenn man die aktuelle Mannschaft gegen die von 2010 spielen lassen könnte - wer würde gewinnen?

Schweinsteiger: Wir hatten damals eine gute Mannschaft, wir haben jetzt eine gute Mannschaft. Worin sie sich unterscheiden, ist die Erfahrung. In Südafrika waren zehn Spieler dabei, die zum ersten Mal ein großes Turnier gespielt haben. Diese Spieler sind jetzt wieder dabei und wissen viel besser, wie man sich verhalten muss, wenn man bei einem Turnier Erfolg haben will.

team.dfb.de: Sie haben ebenfalls mehr Erfahrung, auch in der Rolle als Führungsspieler.

Schweinstiger: Diese Rolle hatte ich ja auch schon vor der WM 2010. Jeder Spieler muss für die Mannschaft Verantwortung übernehmen. Aber natürlich muss es auch Spieler geben, die in engen Situationen die Richtung vorgeben und die richtigen Worte finden. Das ist nicht immer leicht.

team.dfb.de: Vor allem mental.

Schweinsteiger: Ich hätte das früher nie gedacht. Zu Beginn meiner Karriere haben Spieler wie Michael Ballack, Oliver Kahn und Jens Lehmann davon gesprochen, wie Kräfte zehrend ihre Rolle ist. Ich habe das damals nicht ernst genommen, jetzt erlebe ich es selber. Vor allem auf dem Platz. Man nimmt tausend Dinge wahr, die Augen müssen weit sein, man muss sich auf sehr viele Dinge konzentrieren. Ich merke oft nach dem Spiel, dass ich nicht durch die körperliche Anstrengung müde bin, sondern im Kopf. Extrem war es nach dem Spiel in der Champions League in Madrid. Ich war noch nie nach einem Spiel so fertig wie nach dem Madrid-Spiel. Wie gesagt: vor allem im Kopf. Diese Müdigkeit habe ich auch nach dem Spiel gegen Dänemark gemeint. Ich weiß, dass viele das nicht nachvollziehen können, aber es ist so. Hinzu kommt, dass ich nicht nur für mich spiele, sondern ich will für 82 Millionen Deutsche erfolgreich sein. Auch die Herausforderung, für die Fans das Maximale aus sich herauszuholen, kostet geistige Energie.

team.dfb.de: Haben Sie spezielle Methoden, den Kopf auf diese Beanspruchung vorzubereiten?

Schweinsteiger: Ich unterhalte mich gerne mit Menschen, die selber Extremsituationen für den Kopf bewältigen müssen. Wie zum Beispiel mit dem Skifahrer Felix Neureuther, den ich zufällig auch privat gut kenne. Er muss in den zwei Minuten auf der Piste zu 1000 Prozent konzentriert sein. In meiner Zeit als Skifahrer habe ich das selber erlebt. Es ist nicht einfach, wenn man nach dem ersten Durchgang führt und dann oben im Wartehäuschen mitbekommt, wie die Konkurrenz eine Bestzeit nach der anderen fährt. Man steht dann dort, ist der allerletzte Fahrer, muss runter und darf keinen Fehler machen. Von Felix und von anderen zu hören, wie sie diese totale Konzentration hinbekommen, ist für mich interessant. Auch Gespräche mit Formel-1-Fahrern sind spannend.

team.dfb.de: Dann suchen Sie den Austausch mit Spitzensportlern aus anderen Bereichen.

Schweinsteiger: Ja. Aber nicht nur. In meinem Umfeld gibt es viele Leute, die schon sehr viel erlebt haben. Aber der Kreis an Personen, die mich verstehen, ist relativ klein.

team.dfb.de: Finden Sie das schade?

Schweinsteiger: Es ist halt so. Es ist doch klar, dass nur wenige Menschen nachvollziehen können, wie es ist, sich auf ganz hohem Niveau zu bewegen. Nur wenige verstehen und wissen, welche Aufgaben die einzelnen Spieler auf dem Platz haben. Die Leute sehen das Tor und sie jubeln dem Schützen zu. Den Ballverlust davor oder den entscheidenden Laufweg, um einem anderen einen freien Raum zu verschaffen - all das wird selten wahrgenommen. Mir macht es aber Spaß, mich mit Menschen auszutauschen, die auf dem Platz Dinge sehen, die andere nicht sehen.

team.dfb.de: Zum Beispiel?

Schweinsteiger: Wenn man fragt, wer der wichtigste Spieler beim FC Barcelona ist, werden fast immer die Namen von Xavi und Iniesta genannt.

team.dfb.de: Und das stimmt nicht?

Schweinsteiger: Wichtig sind sie, keine Frage. Aber für mich ist Carles Puyol die entscheidende Figur. Er führt die Mannschaft an. Mit seiner ganzen Art ist er für das Team entscheidend, auch wenn andere rein fußballerisch besser sind.

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team.dfb.de: Was ist für den Erfolg der deutschen Mannschaft der entscheidende Faktor?

Schweinsteiger: Für mich ist es entscheidend, dass wir mit der Mannschaft und den Trainern eine Linie haben und mit dem Betreuerstab eine geschlossene Einheit bilden. Wir können uns alle ehrlich die Meinung sagen, und es kommt nichts raus. So muss es sein. Ganz wichtig ist dieses Mannschaftsgefühl, der Gemeinschaftssinn. Wenn man das Gefühl hat: Da entsteht was.

team.dfb.de: Entsteht hier etwas?

Schweinsteiger: Ja, ich spüre das.

team.dfb.de: Drei Spiele, drei Siege - die Bilanz der DFB-Auswahl ist perfekt. Wie zufrieden sind Sie mit der Vorrunde?

Schweinsteiger: Letztendlich bin ich glücklich darüber, dass es so gelaufen ist. Neun Punkte aus drei Spielen, das hätten wir im Vorfeld sofort unterschrieben. Wir haben es im Allgemeinen sehr gut gemacht. Aber im Spiel gibt es immer Situationen, in denen es hätte anders laufen können. Van Persie hätte das 1:0 machen können, Jakob Poulsen hat den Außenpfosten getroffen. Ich will das nicht zu negativ darstellen, aber es ist auch nicht sinnvoll, so zu tun, als hätte es diese Szenen nicht gegeben. Wir haben uns falsch verhalten, wir hätten jeweils noch einen Tick enger zusammenstehen müssen. Wir müssen daraus lernen. Wenn wir das tun, werden wir solche Spiele künftig souveräner gestalten. Und wir müssten weniger Aufwand betreiben.

team.dfb.de: Haben Sie das Spiel zwischen Kroatien und Spanien gesehen?

Schweinsteiger: Ja.

team.dfb.de: Sie sind froh, dass Spanien noch im Turnier ist?

Schweinsteiger: Die Spanier gehören zu den Topmannschaften, sie gehören ins Viertelfinale. Natürlich ist der Titelverteidiger ein großer Konkurrent von uns, und wenn er nicht mehr dabei wäre, wäre auf dem Weg zum großen Ziel ein großer Steine weniger aus dem Weg zu räumen.

team.dfb.de: Sie sind aber nicht bekannt dafür, den leichten Weg zu suchen.

Schweinsteiger: Ich will immer die beste Mannschaft schlagen. Erfolge sind ehrlicher, wenn man den harten Weg gehen musste. Aber ich würde den Titel nicht ablehnen, wenn wir auf dem Weg dorthin Spanien nicht schlagen mussten. (lacht)

team.dfb.de: Sie haben kürzlich gesagt, dass Sie glauben, dass Spanien nur auf "die deutsche Art" zu schlagen ist. Was ist die deutsche Art?

Schweinsteiger: Laufbereitschaft, Kampf, unbedingter Einsatzwille, Leidenschaft. Das, was uns immer ausgezeichnet hat, das, worum uns die anderen immer beneiden. Für diese Attribute stehen wir noch immer, das merke ich häufig, wenn ich mich mit Spielern aus dem Ausland unterhalte. Und niemand sieht das negativ. Aber: Diese Tugenden stehen nicht mehr alleine. Wir haben zum Glück mittlerweile viele Spieler bei uns, die technisch gut sind, die fußballerisch gut sind, die spielintelligent sind, die gute Laufwege machen. Dieses gesamte Paket ist die deutsche Art. Wenn wir diese beiden Komponenten vereinen, dann ist es möglich, die Spanier zu schlagen.

team.dfb.de: Zunächst geht es gegen Griechenland. Viele werten dies als leichtes Los. Wie ist Ihre Einschätzung?

Schweinsteiger: Es ist immer schwierig, gegen Gegner zu spielen, die defensiv stehen und die durch Konter zum Erfolg kommen wollen. Wir benötigen einen Plan, der uns aufzeigt, wie man einem solchen Gegner wehtun kann. Wir haben großen Respekt vor den Griechen. Sie haben sich in einer Gruppe durchgesetzt, wo alle gedacht haben, dass es sehr schwer für sie wird. Sie haben es geschafft, das ist stark. Wir wissen aber, dass es am Freitag nur an uns liegt, ob wir gewinnen oder nicht. Wenn wir unsere Stärken einbringen, werden wir die Griechen schlagen. Wir dürfen nur nicht den Fehler machen, die Griechen zu unterschätzen. Ich hoffe auch, dass unsere Fans in Deutschland verstehen, dass wir noch nicht im Halbfinale sind.

team.dfb.de: Wie meinen Sie das?

Schweinsteiger: Wir freuen uns über den großen Rückhalt. Wenn man gesehen hat, wie viele Fans bei unseren Spielen in der Ukraine in den Stadien waren, wie wir von ihnen unterstützt worden sind - das ist Wahnsinn. Genau so etwas brauchen wir weiter. Gegen Dänemark haben uns die Fans in der zweiten Halbzeit so lange nach vorne gepeitscht, bis wir das 2:1 gemacht haben. Die Unterstützung aus ganz Deutschland und der Fans vor Ort zu spüren, ist gerade für unsere junge Mannschaft enorm wichtig. Ich würde mich sehr freuen, wenn wir weiter unterstützt werden, auch wenn wir "nur" 1:0 gewinnen und das Spiel zäh läuft.

team.dfb.de: Mit welcher Empfindung gehen Sie in so ein Spiel: Vorfreude?

Schweinsteiger: Unglaublich. Schon die Vorfreude auf das Turnier war gewaltig. Jetzt, wo wir die Gruppenphase überstanden haben, wächst sie weiter. Durch die Siege ist auch das Selbstvertrauen gewachsen. Ich spüre einen großen Drang in mir, ein perfektes Spiel zu liefern. Ich hoffe, dass wir dem gegen Griechenland nahe kommen.

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