Miroslav Klose: Der Rekordmann

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Als Miroslav Klose seine erste WM spielte, war Rudi Völler noch Teamchef, Oliver Kahn stand im Tor, Oliver Bierhoff und Oliver Neuville spielten im Angriff. Mehr als ein Jahrzehnt liegt das zurück. Klose ist seither einer der besten Stürmer der Welt. Mit 36 Jahren hat er seine Karriere nun gekrönt: Er ist im vierten Anlauf Weltmeister geworden. Und er ist der erfolgreichste WM-Torschütze aller Zeiten.

Der beste Mann hatte sich einen schlichten weißen Plastiktisch nahe des Ausgangs der Kabine ausgesucht. Während Bundeskanzlerin und Bundespräsident dem gerade eben gekürten Weltmeister gratulierten, saß er also dort am anderen Ende dieses Raums und hörte in sich hinein. "Ich weiß, wie beschissen es sich anfühlt, ein Finale zu verlieren", hatte er noch am Donnerstag warnend gesagt. Jetzt, am Sonntagabend, tief im Bauch des Maracanã, wollte er vielleicht nur für diesen einen flüchtigen Moment bewusst erspüren, wie befriedigend, großartig und unvergleichlich es sich anfühlt, ein WM-Finale gewonnen zu haben. Die Sache endlich bis zum Ende gebracht zu haben. Die Betreuer kamen vorbei. Miroslav Klose, WM- und deutscher Rekordtorschütze, bedankte sich für die Glückwünsche. "Das war eine Teamsache", sagte er.

Rekordtreffer beim Rekordspiel gegen Brasilien

Zum Abschluss seiner vierten Weltmeisterschaft ist Kloses Platz im Weltfußball einzigartig. Keiner in der Geschichte des Spiels hat mehr WM-Tore erzielt. Gegen Ghana schoss er zwei Minuten nach seiner Einwechslung den wichtigen Ausgleich. Ausgerechnet im WM-Halbfinale gegen Brasilien schoss er den Rekordtreffer. Sein 16. WM-Tor, mit dem er Ronaldo hinter sich ließ, war auch der Anfang vom Ende für den WM-Gastgeber. In den folgenden sechs Minuten traf Deutschland gegen schockstarre Brasilianer dreimal.

Im letzten Testspiel vor der WM hatte Klose sein 69. Tor für Deutschland geschossen und damit Gerd Müllers 40 Jahre bestehenden nationalen Rekord gebrochen. Der ewige Klose hat 24 WM-Spiele bestritten, eines mehr als der ewige Maldini, eines weniger nur als der ewige Matthäus. Mit ihm haben nur Pelé und Uwe Seeler bei vier Weltmeisterschaften getroffen. Seeler und Klose kamen bei vier Weltmeisterschaften sogar auf mindestens zwei Tore. Aber keiner war so lange so gut wie Klose, wobei seine, den Gesetzen des modernen Fußballs gegenläufige, Konstanz sehr viel mit Veränderung zu tun hat.

"Feierbiest" mit trockenem Humor

"Feierbiest" ist vielleicht das letzte Attribut, das einem einfällt, hier in der Kabine, etwa eine Stunde nach Abpfiff. Auf der Pressekonferenz in Santo André hatte er den deutschen Journalisten noch in die Blöcke diktiert, dass im Fall des WM-Gewinns bei ihm mit allem zu rechnen sei. "Da werde ich zum Feierbiest", hatte er, ohne eine Miene zu verziehen, angekündigt. Klose kann das, saukomische Sätze sagen, die anderen lachen, er bleibt sehr ernst. Als Zuhörer im Pressezelt weiß man dann nicht so genau, ob er nur sich selbst verulkt oder mediale Beurteilungen gleich mit auf die Schippe nimmt. Als er gefragt wurde, ob er am Sonntag nach dem Finale zurücktrete, sagte Klose dann diesen schönen Satz: "Ich kann es leider noch, und es kann sein, dass ich meinen Kadaver doch noch weiter rumschleppe." Mit einem Strohhut, etwas geneigt, sähe er in solchen Momenten wie Buster Keaton aus. Klose ist auch Weltmeister des trockenen Humors.

Acht Jahre war er alt, als seine Eltern aus Polen nach Deutschland übersiedelten. In Kusel in der Nordpfalz schloss er die Realschule ab und begann eine Lehre als Zimmermann. Am 24. März 2001 debütierte er für Deutschland, in Leverkusen wechselte ihn Rudi Völler gegen Albanien ein. Neuville verließ nach 73 Minuten den Platz und Kloses Ära im deutschen Team begann – mit dem Siegtreffer kurz vor dem Abpfiff. Schon ein Jahr später ehrte ihn die FIFA mit dem Silbernen Schuh, fünf Tore hatte er für Deutschland bei der Weltmeisterschaft in Japan und Südkorea erzielt, alle mit dem Kopf, drei bereits im ersten Gruppenspiel gegen Saudi-Arabien. Keiner schraubte sich höher, keiner stand so lange in der Luft. Flügelstürmer mussten den Ball einfach hoch in den deutschen Strafraum schlagen. Und hinten hielt Kahn alles, so einfach konnte Fußball damals sein.

Klose kommt aus dem Nichts

Doch nur für einen Moment. Bis 2006 hatten sich der Weltfußball und Miroslav Klose verändert. In der Vor-WM-Saison für Werder Bremen mit 25 Treffern Bundesliga-Torschützenkönig, hatte Klose technisch enorm dazugelernt, sein Spiel erweitert. Seine Ballan- und -mitnahme waren nun elegant, seine Spielübersicht verblüffend. Klose war zur spielenden Spitze gereift. Im WM-Achtelfinale gegen überforderte Schweden zog er nach links in den Strafraum, drei gelb-blaue Verteidiger verfolgten ihn verzweifelt, als er nüchtern und eiskalt rechts zurücklegte: Lukas Podolski musste nur noch einschieben. Aber treffen, das konnte er immer noch. Im Viertelfinale führte Argentinien durch ein Tor von Ayala hochverdient, bis Klose in der 80. Minute das märchenhafte 1:1 machte. Mit fünf Toren war er am Ende WM-Torschützenkönig.

Südafrika 2010, die gesamte deutsche Mannschaft zelebrierte einen unbeschwerten, jungen Angriffsfußball – und Klose, nicht mehr ganz so jung, schoss munter weiter Tore für die Ewigkeit. Wer Mut im Fußball verstehen will, sollte sich sein Kopfballtor gegen Australien anschauen. Mehr Wille als bei Kloses 1:0 im Achtelfinale gegen England geht nicht. Im Viertelfinale gegen Argentinien machte er zwei Tore. Bis heute ist er einer der besten Kopfballstürmer der Welt. Noch immer geht er weite Wege, ist sich nicht zu schade für den Abstauber, lieber schiebt er den Ball über die Linie als ihn unter die Latte zu hämmern.

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Salto-Klose ist weltbekannt

Das Markenzeichen des jungen Miro, der Salto, war wie seine frühen Tore eine donnernde Demonstration seiner physischen Dominanz. Heute sprintet er gerne, die Arme etwas nach unten geneigt und von sich gestreckt, beide Zeigefinger deuten auf den Boden. Kein Abheben mehr, eine Verbundenheit. Sein Spiel hat sich verändert, sein Jubel auch. Vielleicht hat das auch etwas mit seinem Alter zu tun. Gegen Ghana zeigte er den Salto nach langer Zeit mal wieder. Gestanden hat er ihn nicht. "Ich weiß auch nicht, was mich dazu getrieben hat", sagt er. "Man hat auch gesehen, dass ich in dieser Hinsicht völlig aus der Übung bin." Mit dem Toreschießen ist das immer noch anders.

Seit Juli 2011 jubelt Lazios Anhang, wenn Klose trifft. In seiner zweiten Saison schoss er in einem Punktspiel gegen Bologna fünf Tore. Am fünften Spieltag der Saison 2012/2013 erzielte er in der vierten Minute das 1:0 gegen den SSC Neapel, doch war er, unbemerkt vom Schiedsrichter, mit der Hand am Ball gewesen. Klose meldete den Regelverstoß, das Tor wurde annulliert, Lazio unterlag 0:3 im Spitzenspiel. Zum zweiten Mal in seiner Laufbahn wurde er mit dem Fairplay-Preis des DFB ausgezeichnet. Mit seiner Frau Sylwia und den Zwillingen Noah und Luan will er noch ein weiteres Jahr in Rom leben, der Vertrag bei Lazio wurde bis Ende der Saison 2015 verlängert. Dann will die Familie sich in der Nähe von München niederlassen.

Toni Kroos war es, der vor 400.000 Fans auf der Fanmeile genau den richtigen Ton traf. Kroos, Weidenfeller, Mustafi, Schürrle, Götze und der älteste deutsche Nationalspieler hatten sich im Campo Bahia eines der Häuser geteilt. Rund 36 Stunden nach Kloses stillem Kabinenmoment im Maracanã waren diese sechs Weltmeister also gemeinsam auf eine sehr laute Berliner Bühne gegangen. Und Kroos stimmte an: "Mi-ro Klose, Mi-ro Klose, Mi-ro Klose, du bist…" Stimmt!

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Als Miroslav Klose seine erste WM spielte, war Rudi Völler noch Teamchef, Oliver Kahn stand im Tor, Oliver Bierhoff und Oliver Neuville spielten im Angriff. Mehr als ein Jahrzehnt liegt das zurück. Klose ist seither einer der besten Stürmer der Welt. Mit 36 Jahren hat er seine Karriere nun gekrönt: Er ist im vierten Anlauf Weltmeister geworden. Und er ist der erfolgreichste WM-Torschütze aller Zeiten.

Der beste Mann hatte sich einen schlichten weißen Plastiktisch nahe des Ausgangs der Kabine ausgesucht. Während Bundeskanzlerin und Bundespräsident dem gerade eben gekürten Weltmeister gratulierten, saß er also dort am anderen Ende dieses Raums und hörte in sich hinein. "Ich weiß, wie beschissen es sich anfühlt, ein Finale zu verlieren", hatte er noch am Donnerstag warnend gesagt. Jetzt, am Sonntagabend, tief im Bauch des Maracanã, wollte er vielleicht nur für diesen einen flüchtigen Moment bewusst erspüren, wie befriedigend, großartig und unvergleichlich es sich anfühlt, ein WM-Finale gewonnen zu haben. Die Sache endlich bis zum Ende gebracht zu haben. Die Betreuer kamen vorbei. Miroslav Klose, WM- und deutscher Rekordtorschütze, bedankte sich für die Glückwünsche. "Das war eine Teamsache", sagte er.

Rekordtreffer beim Rekordspiel gegen Brasilien

Zum Abschluss seiner vierten Weltmeisterschaft ist Kloses Platz im Weltfußball einzigartig. Keiner in der Geschichte des Spiels hat mehr WM-Tore erzielt. Gegen Ghana schoss er zwei Minuten nach seiner Einwechslung den wichtigen Ausgleich. Ausgerechnet im WM-Halbfinale gegen Brasilien schoss er den Rekordtreffer. Sein 16. WM-Tor, mit dem er Ronaldo hinter sich ließ, war auch der Anfang vom Ende für den WM-Gastgeber. In den folgenden sechs Minuten traf Deutschland gegen schockstarre Brasilianer dreimal.

Im letzten Testspiel vor der WM hatte Klose sein 69. Tor für Deutschland geschossen und damit Gerd Müllers 40 Jahre bestehenden nationalen Rekord gebrochen. Der ewige Klose hat 24 WM-Spiele bestritten, eines mehr als der ewige Maldini, eines weniger nur als der ewige Matthäus. Mit ihm haben nur Pelé und Uwe Seeler bei vier Weltmeisterschaften getroffen. Seeler und Klose kamen bei vier Weltmeisterschaften sogar auf mindestens zwei Tore. Aber keiner war so lange so gut wie Klose, wobei seine, den Gesetzen des modernen Fußballs gegenläufige, Konstanz sehr viel mit Veränderung zu tun hat.

"Feierbiest" mit trockenem Humor

"Feierbiest" ist vielleicht das letzte Attribut, das einem einfällt, hier in der Kabine, etwa eine Stunde nach Abpfiff. Auf der Pressekonferenz in Santo André hatte er den deutschen Journalisten noch in die Blöcke diktiert, dass im Fall des WM-Gewinns bei ihm mit allem zu rechnen sei. "Da werde ich zum Feierbiest", hatte er, ohne eine Miene zu verziehen, angekündigt. Klose kann das, saukomische Sätze sagen, die anderen lachen, er bleibt sehr ernst. Als Zuhörer im Pressezelt weiß man dann nicht so genau, ob er nur sich selbst verulkt oder mediale Beurteilungen gleich mit auf die Schippe nimmt. Als er gefragt wurde, ob er am Sonntag nach dem Finale zurücktrete, sagte Klose dann diesen schönen Satz: "Ich kann es leider noch, und es kann sein, dass ich meinen Kadaver doch noch weiter rumschleppe." Mit einem Strohhut, etwas geneigt, sähe er in solchen Momenten wie Buster Keaton aus. Klose ist auch Weltmeister des trockenen Humors.

Acht Jahre war er alt, als seine Eltern aus Polen nach Deutschland übersiedelten. In Kusel in der Nordpfalz schloss er die Realschule ab und begann eine Lehre als Zimmermann. Am 24. März 2001 debütierte er für Deutschland, in Leverkusen wechselte ihn Rudi Völler gegen Albanien ein. Neuville verließ nach 73 Minuten den Platz und Kloses Ära im deutschen Team begann – mit dem Siegtreffer kurz vor dem Abpfiff. Schon ein Jahr später ehrte ihn die FIFA mit dem Silbernen Schuh, fünf Tore hatte er für Deutschland bei der Weltmeisterschaft in Japan und Südkorea erzielt, alle mit dem Kopf, drei bereits im ersten Gruppenspiel gegen Saudi-Arabien. Keiner schraubte sich höher, keiner stand so lange in der Luft. Flügelstürmer mussten den Ball einfach hoch in den deutschen Strafraum schlagen. Und hinten hielt Kahn alles, so einfach konnte Fußball damals sein.

Klose kommt aus dem Nichts

Doch nur für einen Moment. Bis 2006 hatten sich der Weltfußball und Miroslav Klose verändert. In der Vor-WM-Saison für Werder Bremen mit 25 Treffern Bundesliga-Torschützenkönig, hatte Klose technisch enorm dazugelernt, sein Spiel erweitert. Seine Ballan- und -mitnahme waren nun elegant, seine Spielübersicht verblüffend. Klose war zur spielenden Spitze gereift. Im WM-Achtelfinale gegen überforderte Schweden zog er nach links in den Strafraum, drei gelb-blaue Verteidiger verfolgten ihn verzweifelt, als er nüchtern und eiskalt rechts zurücklegte: Lukas Podolski musste nur noch einschieben. Aber treffen, das konnte er immer noch. Im Viertelfinale führte Argentinien durch ein Tor von Ayala hochverdient, bis Klose in der 80. Minute das märchenhafte 1:1 machte. Mit fünf Toren war er am Ende WM-Torschützenkönig.

Südafrika 2010, die gesamte deutsche Mannschaft zelebrierte einen unbeschwerten, jungen Angriffsfußball – und Klose, nicht mehr ganz so jung, schoss munter weiter Tore für die Ewigkeit. Wer Mut im Fußball verstehen will, sollte sich sein Kopfballtor gegen Australien anschauen. Mehr Wille als bei Kloses 1:0 im Achtelfinale gegen England geht nicht. Im Viertelfinale gegen Argentinien machte er zwei Tore. Bis heute ist er einer der besten Kopfballstürmer der Welt. Noch immer geht er weite Wege, ist sich nicht zu schade für den Abstauber, lieber schiebt er den Ball über die Linie als ihn unter die Latte zu hämmern.

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Salto-Klose ist weltbekannt

Das Markenzeichen des jungen Miro, der Salto, war wie seine frühen Tore eine donnernde Demonstration seiner physischen Dominanz. Heute sprintet er gerne, die Arme etwas nach unten geneigt und von sich gestreckt, beide Zeigefinger deuten auf den Boden. Kein Abheben mehr, eine Verbundenheit. Sein Spiel hat sich verändert, sein Jubel auch. Vielleicht hat das auch etwas mit seinem Alter zu tun. Gegen Ghana zeigte er den Salto nach langer Zeit mal wieder. Gestanden hat er ihn nicht. "Ich weiß auch nicht, was mich dazu getrieben hat", sagt er. "Man hat auch gesehen, dass ich in dieser Hinsicht völlig aus der Übung bin." Mit dem Toreschießen ist das immer noch anders.

Seit Juli 2011 jubelt Lazios Anhang, wenn Klose trifft. In seiner zweiten Saison schoss er in einem Punktspiel gegen Bologna fünf Tore. Am fünften Spieltag der Saison 2012/2013 erzielte er in der vierten Minute das 1:0 gegen den SSC Neapel, doch war er, unbemerkt vom Schiedsrichter, mit der Hand am Ball gewesen. Klose meldete den Regelverstoß, das Tor wurde annulliert, Lazio unterlag 0:3 im Spitzenspiel. Zum zweiten Mal in seiner Laufbahn wurde er mit dem Fairplay-Preis des DFB ausgezeichnet. Mit seiner Frau Sylwia und den Zwillingen Noah und Luan will er noch ein weiteres Jahr in Rom leben, der Vertrag bei Lazio wurde bis Ende der Saison 2015 verlängert. Dann will die Familie sich in der Nähe von München niederlassen.

Toni Kroos war es, der vor 400.000 Fans auf der Fanmeile genau den richtigen Ton traf. Kroos, Weidenfeller, Mustafi, Schürrle, Götze und der älteste deutsche Nationalspieler hatten sich im Campo Bahia eines der Häuser geteilt. Rund 36 Stunden nach Kloses stillem Kabinenmoment im Maracanã waren diese sechs Weltmeister also gemeinsam auf eine sehr laute Berliner Bühne gegangen. Und Kroos stimmte an: "Mi-ro Klose, Mi-ro Klose, Mi-ro Klose, du bist…" Stimmt!