Manuel Neuer: "Mein Wort hat jetzt mehr Gewicht"

team.dfb.de: Wenn Sie Ihre Situation bei der Nationalmannschaft vor dem ersten EM-Spiel gegen Portugal vergleichen mit der Situation vor zwei Jahren vor dem ersten WM-Spiel gegen Australien - was hat sich für Sie beim DFB-Team in den zwei Jahren verändert?

Neuer: Ich denke, dass ich mich persönlich nicht verändert habe. Was sich verändert hat, ist mein Status. Ich habe jetzt einen anderen Stellenwert in der Mannschaft. Mein Wort hat mehr Gewicht, das ist der größte Unterschied. In meinem Spiel hat sich nicht viel geändert. Ich versuche, meiner Mannschaft Sicherheit zu geben und - wenn es die Situation erlaubt - im richtigen Zeitpunkt das Spiel schnell zu machen und im Spielaufbau zu helfen.

team.dfb.de: Achten Sie im Spiel permanent darauf, wie die Spieler postiert sind, an welchen Stellen auf dem Feld sich Überzahlsituationen ergeben könnten. Haben Sie, etwa bei Ecken gegen die eigene Mannschaft, immer auch die eigenen Offensive im Blick, um gegebenenfalls selbst den Angriff einleiten zu können.

Neuer: Das lässt sich pauschal nicht beantworten. Es gibt Situationen, in denen ich weiß, dass es nicht sinnvoll wäre, das Spiel schnell zu machen. Dann konzentriere ich mich nur auf den Ball. Es gibt aber auch Szenen, wo ich ganz sicher bin, dass ich den Ball bekomme. Und dann habe ich immer die Spielsituation im Blick. Ein gutes Beispiel ist dafür unser Spiel gegen die Türkei. Da habe ich gesehen, dass der Linksverteidiger der Türken sehr offensiv stand und dass Thomas Müller vorne gelauert hat. Ich habe den Ball bekommen, dann ging es ratz-fatz - und Mario Gomez hat das Tor gemacht. Natürlich denke ich als Torwart stets daran, wie sich das Spiel weiterentwickeln könnte. Aber das Wichtigste ist immer, dass ich den Ball erstmal sicher in meinen Händen halte. Das ist die Pflicht, alles was danach kommt, ist die Kür.

team.dfb.de: Modernes Torwartspiel nennt man das gerne, obwohl diese Art zu spielen so neu nicht mehr ist. Was glauben Sie, wie wird sich das Torwartspiel entwickeln, wie wird das "moderne" Torwartspiel in 30 Jahren aussehen?

Neuer: Gravierende Änderungen wird es nicht geben. Aber ich kann mir durchaus vorstellen, dass der Torhüter dann noch weiter vorgezogen spielt und noch mehr als Anspielstation und als Ballverteiler agiert. Dass er also nicht mehr im 16er steht, sondern vielleicht 25, 30 Meter vor dem Tor. Ich mache das ja teilweise schon, aber es geht noch mehr. Es wird jedoch nie so kommen, dass der Torwart komplett als 11. Feldspieler agiert und zu Dribbling oder permanent zu Aktionen in der Offensive ansetzt.

team.dfb.de: Am Mittwoch geht es im zweiten EM-Spiel gegen die Niederlande. Ein Land, mit dem Sie eine besondere Verbindung haben.

Neuer: Ja. Ich bin ja in Buer groß geworden. Wir Westfalen haben es nicht weit zur niederländischen Grenze, ich habe dort auch teilweise Urlaub gemacht. Außerdem habe ich auf Schalke mit vielen Niederländern zusammen gespielt. Und jetzt in München spielt mit Arjen Robben wieder ein niederländischer Nationalspieler in unserer Mannschaft. Es gibt also einige Bezugspunkte.



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Die Nummer eins vor dem zweiten EM-Spiel: Gegen Portugal hat Manuel Neuer einmal mehr seine Klasse gezeigt, am Mittwoch geht es gegen die Niederlande. Wieder wird es auch auf die Fähigkeiten des Torhüters ankommen. Für Neuer ist das Spiel aus mehreren Gründen speziell.

Im Interview mit DFB.de-Redakteur Steffen Lüdeke erzählt Neuer von seiner Verbindung zum Nachbarland und dem "modernen" Torwartspiel der Zukunft.

team.dfb.de: Herr Neuer, zur Stunde läuft das Finale der French Open. Sie sind großer Tennis-Fan. Für wen drücken Sie die Daumen? Rafael Nadal oder Novak Djokovic?

Manuel Neuer: Ich bin für Djokovic. Ich finde ihn von seiner ganzen Art her sympathisch. Aber gerade eben höre ich, dass Nadal gewonnen hat. Zum siebten Mal. Das ist eine außergewöhnliche Leistung, zu der ich natürlich gratuliere.

team.dfb.de: Sie haben selber lange Tennis gespielt. Von der Spielanlage wie Djokovic? Gute Vorhand, eher offensiv? Oder ähnlich wie Nadal?

Neuer: Es sind beide keine Defensiv-Spieler. 'Rafa' geht zwar nur ungern ans Netz, er versucht halt, das Spiel von der Grundlinie zu dominieren. Wenn es zwischen beiden einen Unterschied geht, dann besteht der darin, dass Djokovic noch ein wenig variabler spielt.

team.dfb.de: Im Alter von 14 Jahren haben Sie mit dem Tennis aufgehört. Eine schwere Entscheidung?

Neuer: Es war nicht einfach. Aber die Doppelbelastung war zu viel. Ich bin oft nach dem Fußballtraining noch zum Tennis. Auch an den Wochenenden war es nicht selten so, dass ich am Vormittag ein Fußballspiel hatte und am Nachmittag auf den Tennisplatz musste. Ich kam dann häufig spät und stand meiner Mannschaft erst ab den Doppeln zur Verfügung. Es war nicht leicht, die beiden Sportarten unter einen Hut zu bringen. Und irgendwann musste ich dann den Schnitt machen.

team.dfb.de: War es eine bewusste Karriereentscheidung, weil Sie gemerkt haben, dass Sie es im Fußball weiter bringen können als im Tennis?

Neuer: Karriereentscheidung würde ich nicht sagen. Es war einfach nicht anders machbar. Dadurch, dass ich so viel Sport gemacht habe, war es fast zwangläufig, dass die Schule ein wenig vernachlässigt wurde. Was ich ja nicht so schlimm fand, aber meine Eltern hatten etwas dagegen (lacht). Letztlich haben sie für mich entschieden, dass es besser ist, wenn ich mit dem Tennis aufhöre. Heute bin ich ihnen dankbar dafür, damals habe ich das anders gesehen.

team.dfb.de: Fehlt Ihnen Tennis manchmal?

Neuer: Ich spiele ja noch hin und wieder. Mit Freunden. Oder auch mit meinen Mitspielern.

team.dfb.de: Befindet sich einer darunter, der gut genug ist, Ihnen ein ernsthafter Gegner zu sein?

Neuer: Oliver Bierhoff soll nicht schlecht sein, Andreas Köpke kann es auch. Und Philipp Lahm ist ebenfalls ein guter Spieler.

team.dfb.de: Genug vom Tennis. Sie sind Torwart geworden, und kein schlechter. Nach dem Spiel gegen Portugal waren die Zeitungen voll des Lobes.

Neuer: Ich bleibe immer ganz entspannt. Ich kann meine Leistungen ganz gut einschätzen. Und wichtig ist für mich nicht, was Zeitungen schreiben, sondern was meine Trainer und meine Torwarttrainer von meiner Leistung halten. Ich spreche mit ihnen über die Spiele und analysiere, ob ich mich in der einen oder anderen Szene hätte anders verhalten können, ob ich immer die richtige Entscheidung getroffen habe. Im Spiel gegen Portugal war ich nicht permanent gefordert.

team.dfb.de: Ganz ungeprüft waren Sie nicht. Der Schuss von Ronaldo in der 81. Minute war nicht leicht zu parieren.

Neuer: Es gab auch vorher bei Standards für mich schwierige Situationen. Teilweise kam ich nur mit einer Faust an den Ball. Aber bis zum Schuss von Ronaldo kam kein gefährlicher Ball auf mein Tor. Es ist für einen Torhüter nie leicht, wenn er erst so spät im Spiel den ersten schwierigen Ball halten muss.

team.dfb.de: In der 87. Minute waren Sie noch einmal gefordert, als Silvestre Varela ziemlich frei vor Ihnen zum Schuss kam. Wie schwer war es, den Ball zu halten?

Neuer: Schwierig war vor allem, dass die Situation schon längst hätte geklärt sein können. Ronaldo hatte Glück, dass er den Ball überhaupt in die Mitte geben konnte. Es war eigentlich nicht damit zu rechnen, dass der Ball wirklich durchgeht. Aber als Torwart muss man immer auf alles gefasst sein. Ich habe dann versucht, den Winkel so klein wie möglich zu machen. Varela hatte dann wenig Optionen. Er hat mir den Ball in die Weichteile geschossen, das tat zwar weh, aber wenigstens war der Ball nicht im Tor.

team.dfb.de: Ist dies eine der Qualitäten, die Sie in München lernen mussten: Nicht permanent geprüft zu werden und dennoch ständig bei 100 Prozent Konzentration zu sein?

Neuer: Daran musste ich mich auch erst gewöhnen. Ich habe das auf Schalke und natürlich auch bei der Nationalmannschaft gegen schwächere Gegner mitunter erlebt. Spiele, bei denen ich kaum gefordert war, waren für mich früher aber eher die Ausnahme. In München ist es eher die Regel. Gerade in der Hinrunde war es so, dass wir Spiele hatten, in denen ich kaum die Möglichkeit hatte, mich auszuzeichnen oder erst spät im Spiel gefordert wurde.

team.dfb.de: Überspitzt gesagt: Warmgeschossen werden, viele gute Aktionen, häufig geprüft, das kann jeder. Zeigt sich wahre Klasse erst, wenn ein Torhüter selten geprüft wird und dann zur Stelle ist?

Neuer: Das ist die größere Herausforderung. Deswegen ist es mir auch lieber, wenn ich weniger Bälle aufs Tor bekomme. Zumal das ja auch bedeutet, dass die eigene Mannschaft das Spiel bestimmt.

team.dfb.de: Wenn Sie Ihre Situation bei der Nationalmannschaft vor dem ersten EM-Spiel gegen Portugal vergleichen mit der Situation vor zwei Jahren vor dem ersten WM-Spiel gegen Australien - was hat sich für Sie beim DFB-Team in den zwei Jahren verändert?

Neuer: Ich denke, dass ich mich persönlich nicht verändert habe. Was sich verändert hat, ist mein Status. Ich habe jetzt einen anderen Stellenwert in der Mannschaft. Mein Wort hat mehr Gewicht, das ist der größte Unterschied. In meinem Spiel hat sich nicht viel geändert. Ich versuche, meiner Mannschaft Sicherheit zu geben und - wenn es die Situation erlaubt - im richtigen Zeitpunkt das Spiel schnell zu machen und im Spielaufbau zu helfen.

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team.dfb.de: Achten Sie im Spiel permanent darauf, wie die Spieler postiert sind, an welchen Stellen auf dem Feld sich Überzahlsituationen ergeben könnten. Haben Sie, etwa bei Ecken gegen die eigene Mannschaft, immer auch die eigenen Offensive im Blick, um gegebenenfalls selbst den Angriff einleiten zu können.

Neuer: Das lässt sich pauschal nicht beantworten. Es gibt Situationen, in denen ich weiß, dass es nicht sinnvoll wäre, das Spiel schnell zu machen. Dann konzentriere ich mich nur auf den Ball. Es gibt aber auch Szenen, wo ich ganz sicher bin, dass ich den Ball bekomme. Und dann habe ich immer die Spielsituation im Blick. Ein gutes Beispiel ist dafür unser Spiel gegen die Türkei. Da habe ich gesehen, dass der Linksverteidiger der Türken sehr offensiv stand und dass Thomas Müller vorne gelauert hat. Ich habe den Ball bekommen, dann ging es ratz-fatz - und Mario Gomez hat das Tor gemacht. Natürlich denke ich als Torwart stets daran, wie sich das Spiel weiterentwickeln könnte. Aber das Wichtigste ist immer, dass ich den Ball erstmal sicher in meinen Händen halte. Das ist die Pflicht, alles was danach kommt, ist die Kür.

team.dfb.de: Modernes Torwartspiel nennt man das gerne, obwohl diese Art zu spielen so neu nicht mehr ist. Was glauben Sie, wie wird sich das Torwartspiel entwickeln, wie wird das "moderne" Torwartspiel in 30 Jahren aussehen?

Neuer: Gravierende Änderungen wird es nicht geben. Aber ich kann mir durchaus vorstellen, dass der Torhüter dann noch weiter vorgezogen spielt und noch mehr als Anspielstation und als Ballverteiler agiert. Dass er also nicht mehr im 16er steht, sondern vielleicht 25, 30 Meter vor dem Tor. Ich mache das ja teilweise schon, aber es geht noch mehr. Es wird jedoch nie so kommen, dass der Torwart komplett als 11. Feldspieler agiert und zu Dribbling oder permanent zu Aktionen in der Offensive ansetzt.

team.dfb.de: Am Mittwoch geht es im zweiten EM-Spiel gegen die Niederlande. Ein Land, mit dem Sie eine besondere Verbindung haben.

Neuer: Ja. Ich bin ja in Buer groß geworden. Wir Westfalen haben es nicht weit zur niederländischen Grenze, ich habe dort auch teilweise Urlaub gemacht. Außerdem habe ich auf Schalke mit vielen Niederländern zusammen gespielt. Und jetzt in München spielt mit Arjen Robben wieder ein niederländischer Nationalspieler in unserer Mannschaft. Es gibt also einige Bezugspunkte.

team.dfb.de: Sie waren ein paar Mal mit der Jugendfreizeit der katholischen Jugendgemeinde aus Buer im Sommer auf der niederländischen Insel Ameland. Welche Erinnerungen haben Sie an diese Urlaube? Haben Sie dorthin noch Kontakte?

Neuer: Nein, Kontakte dorthin habe ich nicht mehr. Aber die Sommer dort waren toll. Wir waren immer für drei Wochen dort. Wir waren immer den ganzen Tag draußen, haben viel Fußball gespielt. Es war eine schöne Zeit.

team.dfb.de: Die sportliche Rivalität zwischen Deutschland und den Niederlanden ist bekannt. Wie haben Sie diese aus Fansicht empfunden?

Neuer: Ich weiß noch, dass ich im Parkstadion mal ein Vorspiel vor einem Länderspiel zwischen Deutschland und den Niederlande gemacht habe. Da war ich in der C- oder D-Jugend. Damals habe ich die besondere Atmosphäre auf den Rängen und auf dem Platz mitbekommen. Für die Fans war dieses Spiel ganz offenkundig sehr speziell.

team.dfb.de: Dass sie selber Fan waren, ist bestens bekannt. Sie waren als Fan ein Lautsprecher, ansonsten eher schweigsam. Haben Sie sich verwandelt, wenn Sie ins als Zuschauer ins Stadion gegangen sind?

Neuer: In der Kurve sind alle gleich: Akademiker, Hauptschüler, Reiche, Arme, Alte, Junge. Ich habe diese Atmosphäre immer sehr genossen, es gab keine Hierarchien, es hat niemand gemeint, dass er aufgrund seines Status mehr zu sagen hat. Ich war generell im "normalen" Leben eher der Zuhörer, es war aber nicht so, dass ich in der Kurve der Einpeitscher gewesen bin. Ich bin eher mitgeschwommen.

team.dfb.de: Die Niederlande sind in der Offensive sehr stark, van Persie ist Torschützenkönig der Premier League, Klaas-Jan Huntelaar in der Bundesliga. Ist dieses Spiel für Sie deswegen eine besondere Freude, weil die Herausforderung besonders groß ist?

Neuer: Natürlich wissen wir um ihre Stärke in der Offensive, aber ganz unabhängig davon freue ich mich generell, dass wir jetzt bei einem Turnier auf die Niederlande treffen.