Kroos: "Wir haben uns deutlich verbessert"

Antreiber, Vordenker, Bessermacher: Toni Kroos gehört zu den Säulen einer Nationalmannschaft im Umbruch. Keiner im aktuellen Kader hat öfter für Deutschland gespielt (96-mal) und getroffen (17-mal) als der 29 Jahre alte Mittelfeldspieler von Real Madrid . Das Jahr geht zu Ende - ein guter Anlass also, Toni Kroos im DFB.de-Interview nach dem Stand der Dinge zu fragen. Und nach den weiteren Aussichten.

DFB.de: Herr Kroos, welches Highlight fällt Ihnen im Rückblick auf das Jahr 2019 aus sportlicher Sicht als Erstes ein?

Toni Kroos: Es gab auch 2019 viele schöne Momente, sowohl bei Real als auch bei der Nationalmannschaft. Wir haben mit Real aber keinen großen Titel gewonnen, ausnahmsweise. Ein absolutes Highlight sehe ich, ehrlich gesagt, nicht. Am Ende des Kalenderjahres ist das, auf den Fußball bezogen, ja auch schwer, weil wir uns erst in der Mitte der Saison befinden und die großen Spiele noch kommen. In dieser ersten Hälfte der Saison geht es eher darum, die Höhepunkte vorzubereiten, die dann im kommenden Frühjahr und Sommer hoffentlich folgen.

DFB.de: Sie haben in Ihrem 100. Spiel in der Champions League bei Galatasaray Istanbul den Siegtreffer erzielt. Welche Bedeutung hatte das für Sie?

Kroos: Das war schön, das stimmt. Aber eher, weil es ein wichtiger Treffer in einem für uns wichtigen Spiel war. In der Champions League hatten wir nach zwei Spieltagen erst einen Punkt, wir waren also zum Siegen verdammt. Auf Zahlen und Statistiken lege ich allerdings keinen großen Wert. Ich hatte auch erst kurz vorher mitbekommen, dass es das 100. Spiel war, ein Mitarbeiter von Real erzählte mir davon. Dass es ein Treffer in einem Jubiläumsspiel war, ist eine schöne Fußnote. Die Hauptsache ist, dass wir das Spiel durch das Tor gewonnen haben. So war es auch bei meinen beiden Toren für die Nationalmannschaft zuletzt gegen Belarus. Wer die Tore macht, ist nicht erheblich - erheblich ist, dass wir die Spiele gewinnen.

DFB.de: Sportlich fällt es Ihnen also nicht ganz leicht, einen Jahreshöhepunkt zu nennen. Beim Privatmenschen Toni Kroos dürfte das einfacher sein.

Kroos: Stimmt. Da steht natürlich die Geburt unseres dritten Kindes ganz oben. Ich bin ja im März noch einmal Vater geworden, ein höheres Highlight gibt es nicht. Jeder, der dies selbst erlebt hat, weiß, dass es das Größte ist, was einem Menschen passieren kann. Und jeder, der mich kennt, weiß, wie sehr ich die Rolle als Familienvater genieße. Für mich ist dies in meinem Leben das Schönste und Wichtigste überhaupt, daneben ist alles andere maximal zweitrangig.

DFB.de: 2019 hat in der Nationalmannschaft ein Umbruch stattgefunden. Auch bei Real Madrid gab es zum Beginn der aktuellen Saison größere Veränderungen des Kaders. Erleben Sie im Verein und in der Nationalmannschaft aktuell vergleichbare Phasen?

Kroos: Ein paar Vergleiche lassen sich schon ziehen. Das ergibt sich ja schon daraus, dass ich bei beiden Mannschaften nach wie vor eine wichtige Rolle spiele. Ich denke aber, dass der Umbruch bei der Nationalmannschaft erheblich größer ausgefallen ist als bei mir im Verein. Bei Real ist das Gerüst im Wesentlichen gleich, die Änderungen dort sind nicht irrelevant, aber eher punktuell. Außerdem haben wir bei Real auch erfahrene Spieler zu uns geholt. Bei der Nationalmannschaft war der Einschnitt auf jeden Fall erheblich tiefer.

DFB.de: Ist es für Sie noch immer ungewohnt, dass Spieler wie Thomas Müller, Mats Hummels und Jérôme Boateng nicht mehr zum Kader gehören?

Kroos: Nein. Das ist Fußball - da gibt es Veränderungen. Ich erlebe das seit mehr als zehn Jahren. Spieler kommen und gehen, Trainer kommen und gehen, damit muss man sich arrangieren.

DFB.de: Das klingt sehr nüchtern. Sie sind so lange dabei, mit der Zeit entstehen doch Verbindungen. Das können Sie so einfach ausklammern?

Kroos: Natürlich war es gerade menschlich ungewohnt, weil man bis dahin auch viel Zeit mit diesen Spielern verbracht hat und von jetzt auf gleich viele bekannte Gesichter nicht mehr dabei waren. Aber sportlich ist es eben Teil des ganzen Geschäfts, und das versuche ich so emotionslos wie möglich zu sehen.

DFB.de: Ein Umbruch bedeutet, dass viele neue Spieler zur Mannschaft kommen. Wie interessant ist diese Konstellation für Sie? Wie neugierig sind Sie auf die jungen Spieler, die zuletzt ihre ersten Schritte in der Nationalmannschaft gesetzt haben?

Kroos: Natürlich bin ich gespannt auf die neuen Spieler. Es ist nicht so, dass ich in Spanien jede Woche Bundesliga schaue. Nicht, weil mich das nicht interessieren würde. Aber erstens habe ich die Zeit nicht wegen meiner eigenen Spiele. Und zweitens nicht, weil ich zu Hause drei Kinder habe, die Zeit mit mir verbringen wollen und mit denen ich Zeit verbringen will. Einige der jungen Spieler kenne ich fußballerisch noch nicht. Für mich ist es also spannend, diese Spieler nun im Training und auch in den Spielen zu erleben. Was können Sie auf dem Platz, was sind das für Typen außerhalb des Platzes? Auch wenn ich vieles eher nüchtern sehe, ist mir sehr wichtig, dass wir uns als Mannschaft insgesamt gut verstehen.

DFB.de: Elf Freunde müsst ihr sein...

Kroos: Nein, wir müssen nicht die besten Freunde sein. Aber eine positive Stimmung auch außerhalb des Platzes ist eine wichtige Basis, um als Mannschaft erfolgreich zu sein.

DFB.de: Inwieweit sehen auch Sie sich für das Klima im Team zuständig? Greifen Sie ein, wenn es bei der Integration eines neuen Spielers Probleme gibt?

Kroos: Ich würde eingreifen. Aber nicht nur ich. Wir alle haben ein Auge darauf und ein Interesse daran, dass in der Nationalmannschaft ein gutes Miteinander herrscht. Aber ich habe nicht im Ansatz das Gefühl, dass das nicht der Fall ist. Es gibt immer Charaktere, die nicht nur in Gruppen unterwegs sind, die auch mal etwas alleine machen möchten. Zu diesen zähle ich mich ja selber. Aber das hat nichts mit fehlender Integration zu tun. Es geht darum, dass sich jeder in dieser Mannschaft wohlfühlt. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass das so ist.

DFB.de: Zum Umbruch bei der Nationalmannschaft gehören auch Anpassungen beim Spielstil. Die Formel dazu: weniger Ballbesitz, mehr Umschalten. Wie fühlbar ist diese Änderung für Sie? Haben auch Sie Ihr Spiel umstellen müssen?

Kroos: Wenn eine Mannschaft eine andere Idee spielen will, müssen auch die einzelnen Spieler schauen, ob sie ihr Spiel anpassen müssen. Auch ich habe mir die Frage gestellt, was der Trainer spielen will, welche Schwerpunkte er setzen will und wie ich mich dabei am besten einbringen kann. Ein Aspekt ist ja, dass wir wieder den etwas direkteren Weg zum Tor wählen wollen. Dementsprechend hat der Trainer auch die Spielertypen des Kaders angepasst. Die tollste Idee bringt dir ja nichts, wenn es an den Spielertypen fehlt, die diese umsetzen können. Dass das auch Auswirkungen auf mich hat, ist ja klar. Wobei mir viele Dinge auch zu übertrieben dargestellt werden.

DFB.de: Und zwar?

Kroos: Es ist falsch, wenn behauptet wird, dass wir uns vom Ballbesitzfußball verabschiedet hätten. Ich bin der Meinung, dass es nach wie vor wichtig ist, die Tore gut vorzubereiten und Kombinationsfußball zu spielen. Längere Ballstafetten werden immer als wesentlicher Teil zu unserem Spiel gehören. Gegen die meisten unserer Gegner bleibt uns auch nichts anderes übrig. Es wird auch künftig so sein, dass sich viele gegen uns zurückziehen und uns den Ball geben. Wenn wir dann auch das Spiel verweigern würden, dann gute Nacht!

DFB.de: Dann ist also alles wie immer.

Kroos: Für uns geht es darum, dass wir von Spiel zu Spiel sehen müssen, wie wir am besten vors Tor kommen. Manchmal sind es eben lange Ballstafetten, manchmal ist es auch ein bisschen tiefer stehen, um eine Art Konterspiel aufzuziehen. Das hängt immer vom Gegner ab und auch innerhalb eines Spiels von der jeweiligen Spielsituation.



Antreiber, Vordenker, Bessermacher: Toni Kroos gehört zu den Säulen einer Nationalmannschaft im Umbruch. Keiner im aktuellen Kader hat öfter für Deutschland gespielt (96-mal) und getroffen (17-mal) als der 29 Jahre alte Mittelfeldspieler von Real Madrid . Das Jahr geht zu Ende - ein guter Anlass also, Toni Kroos im DFB.de-Interview nach dem Stand der Dinge zu fragen. Und nach den weiteren Aussichten.

DFB.de: Herr Kroos, welches Highlight fällt Ihnen im Rückblick auf das Jahr 2019 aus sportlicher Sicht als Erstes ein?

Toni Kroos: Es gab auch 2019 viele schöne Momente, sowohl bei Real als auch bei der Nationalmannschaft. Wir haben mit Real aber keinen großen Titel gewonnen, ausnahmsweise. Ein absolutes Highlight sehe ich, ehrlich gesagt, nicht. Am Ende des Kalenderjahres ist das, auf den Fußball bezogen, ja auch schwer, weil wir uns erst in der Mitte der Saison befinden und die großen Spiele noch kommen. In dieser ersten Hälfte der Saison geht es eher darum, die Höhepunkte vorzubereiten, die dann im kommenden Frühjahr und Sommer hoffentlich folgen.

DFB.de: Sie haben in Ihrem 100. Spiel in der Champions League bei Galatasaray Istanbul den Siegtreffer erzielt. Welche Bedeutung hatte das für Sie?

Kroos: Das war schön, das stimmt. Aber eher, weil es ein wichtiger Treffer in einem für uns wichtigen Spiel war. In der Champions League hatten wir nach zwei Spieltagen erst einen Punkt, wir waren also zum Siegen verdammt. Auf Zahlen und Statistiken lege ich allerdings keinen großen Wert. Ich hatte auch erst kurz vorher mitbekommen, dass es das 100. Spiel war, ein Mitarbeiter von Real erzählte mir davon. Dass es ein Treffer in einem Jubiläumsspiel war, ist eine schöne Fußnote. Die Hauptsache ist, dass wir das Spiel durch das Tor gewonnen haben. So war es auch bei meinen beiden Toren für die Nationalmannschaft zuletzt gegen Belarus. Wer die Tore macht, ist nicht erheblich - erheblich ist, dass wir die Spiele gewinnen.

DFB.de: Sportlich fällt es Ihnen also nicht ganz leicht, einen Jahreshöhepunkt zu nennen. Beim Privatmenschen Toni Kroos dürfte das einfacher sein.

Kroos: Stimmt. Da steht natürlich die Geburt unseres dritten Kindes ganz oben. Ich bin ja im März noch einmal Vater geworden, ein höheres Highlight gibt es nicht. Jeder, der dies selbst erlebt hat, weiß, dass es das Größte ist, was einem Menschen passieren kann. Und jeder, der mich kennt, weiß, wie sehr ich die Rolle als Familienvater genieße. Für mich ist dies in meinem Leben das Schönste und Wichtigste überhaupt, daneben ist alles andere maximal zweitrangig.

DFB.de: 2019 hat in der Nationalmannschaft ein Umbruch stattgefunden. Auch bei Real Madrid gab es zum Beginn der aktuellen Saison größere Veränderungen des Kaders. Erleben Sie im Verein und in der Nationalmannschaft aktuell vergleichbare Phasen?

Kroos: Ein paar Vergleiche lassen sich schon ziehen. Das ergibt sich ja schon daraus, dass ich bei beiden Mannschaften nach wie vor eine wichtige Rolle spiele. Ich denke aber, dass der Umbruch bei der Nationalmannschaft erheblich größer ausgefallen ist als bei mir im Verein. Bei Real ist das Gerüst im Wesentlichen gleich, die Änderungen dort sind nicht irrelevant, aber eher punktuell. Außerdem haben wir bei Real auch erfahrene Spieler zu uns geholt. Bei der Nationalmannschaft war der Einschnitt auf jeden Fall erheblich tiefer.

DFB.de: Ist es für Sie noch immer ungewohnt, dass Spieler wie Thomas Müller, Mats Hummels und Jérôme Boateng nicht mehr zum Kader gehören?

Kroos: Nein. Das ist Fußball - da gibt es Veränderungen. Ich erlebe das seit mehr als zehn Jahren. Spieler kommen und gehen, Trainer kommen und gehen, damit muss man sich arrangieren.

DFB.de: Das klingt sehr nüchtern. Sie sind so lange dabei, mit der Zeit entstehen doch Verbindungen. Das können Sie so einfach ausklammern?

Kroos: Natürlich war es gerade menschlich ungewohnt, weil man bis dahin auch viel Zeit mit diesen Spielern verbracht hat und von jetzt auf gleich viele bekannte Gesichter nicht mehr dabei waren. Aber sportlich ist es eben Teil des ganzen Geschäfts, und das versuche ich so emotionslos wie möglich zu sehen.

DFB.de: Ein Umbruch bedeutet, dass viele neue Spieler zur Mannschaft kommen. Wie interessant ist diese Konstellation für Sie? Wie neugierig sind Sie auf die jungen Spieler, die zuletzt ihre ersten Schritte in der Nationalmannschaft gesetzt haben?

Kroos: Natürlich bin ich gespannt auf die neuen Spieler. Es ist nicht so, dass ich in Spanien jede Woche Bundesliga schaue. Nicht, weil mich das nicht interessieren würde. Aber erstens habe ich die Zeit nicht wegen meiner eigenen Spiele. Und zweitens nicht, weil ich zu Hause drei Kinder habe, die Zeit mit mir verbringen wollen und mit denen ich Zeit verbringen will. Einige der jungen Spieler kenne ich fußballerisch noch nicht. Für mich ist es also spannend, diese Spieler nun im Training und auch in den Spielen zu erleben. Was können Sie auf dem Platz, was sind das für Typen außerhalb des Platzes? Auch wenn ich vieles eher nüchtern sehe, ist mir sehr wichtig, dass wir uns als Mannschaft insgesamt gut verstehen.

DFB.de: Elf Freunde müsst ihr sein...

Kroos: Nein, wir müssen nicht die besten Freunde sein. Aber eine positive Stimmung auch außerhalb des Platzes ist eine wichtige Basis, um als Mannschaft erfolgreich zu sein.

DFB.de: Inwieweit sehen auch Sie sich für das Klima im Team zuständig? Greifen Sie ein, wenn es bei der Integration eines neuen Spielers Probleme gibt?

Kroos: Ich würde eingreifen. Aber nicht nur ich. Wir alle haben ein Auge darauf und ein Interesse daran, dass in der Nationalmannschaft ein gutes Miteinander herrscht. Aber ich habe nicht im Ansatz das Gefühl, dass das nicht der Fall ist. Es gibt immer Charaktere, die nicht nur in Gruppen unterwegs sind, die auch mal etwas alleine machen möchten. Zu diesen zähle ich mich ja selber. Aber das hat nichts mit fehlender Integration zu tun. Es geht darum, dass sich jeder in dieser Mannschaft wohlfühlt. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass das so ist.

DFB.de: Zum Umbruch bei der Nationalmannschaft gehören auch Anpassungen beim Spielstil. Die Formel dazu: weniger Ballbesitz, mehr Umschalten. Wie fühlbar ist diese Änderung für Sie? Haben auch Sie Ihr Spiel umstellen müssen?

Kroos: Wenn eine Mannschaft eine andere Idee spielen will, müssen auch die einzelnen Spieler schauen, ob sie ihr Spiel anpassen müssen. Auch ich habe mir die Frage gestellt, was der Trainer spielen will, welche Schwerpunkte er setzen will und wie ich mich dabei am besten einbringen kann. Ein Aspekt ist ja, dass wir wieder den etwas direkteren Weg zum Tor wählen wollen. Dementsprechend hat der Trainer auch die Spielertypen des Kaders angepasst. Die tollste Idee bringt dir ja nichts, wenn es an den Spielertypen fehlt, die diese umsetzen können. Dass das auch Auswirkungen auf mich hat, ist ja klar. Wobei mir viele Dinge auch zu übertrieben dargestellt werden.

DFB.de: Und zwar?

Kroos: Es ist falsch, wenn behauptet wird, dass wir uns vom Ballbesitzfußball verabschiedet hätten. Ich bin der Meinung, dass es nach wie vor wichtig ist, die Tore gut vorzubereiten und Kombinationsfußball zu spielen. Längere Ballstafetten werden immer als wesentlicher Teil zu unserem Spiel gehören. Gegen die meisten unserer Gegner bleibt uns auch nichts anderes übrig. Es wird auch künftig so sein, dass sich viele gegen uns zurückziehen und uns den Ball geben. Wenn wir dann auch das Spiel verweigern würden, dann gute Nacht!

DFB.de: Dann ist also alles wie immer.

Kroos: Für uns geht es darum, dass wir von Spiel zu Spiel sehen müssen, wie wir am besten vors Tor kommen. Manchmal sind es eben lange Ballstafetten, manchmal ist es auch ein bisschen tiefer stehen, um eine Art Konterspiel aufzuziehen. Das hängt immer vom Gegner ab und auch innerhalb eines Spiels von der jeweiligen Spielsituation.

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DFB.de: Vor der WM 2018 in Russland hatten Sie zu den Mahnern gehört. Wie viel Anlass zu mahnen sehen Sie Ende des Jahres 2019 mit Blick auf die EM 2020?

Kroos: Ich bin der Meinung, dass wir richtig gute Ansätze hatten, dass wir teilweise auch richtig guten Fußball gespielt haben. Unsere Idee haben wir häufig gut umgesetzt. Teilweise auch schon gegen gute Gegner, gegen die Niederlande zum Beispiel. Ich finde: In diesem Jahr haben wir uns deutlich verbessert. Wir haben es aber zu selten geschafft, über 90 Minuten konstant auf einem guten Level zu sein. Bei einem Turnier muss man aber genau das schaffen, wenn man erfolgreich sein will. Man kann es sich nicht leisten, auch nur kurzzeitig unter ein gewisses Niveau zu rutschen. Da kann auch schon eine schlechte halbe Stunde das Aus bedeuten.

DFB.de: Zählen Sie Deutschland dennoch zum engen Favoritenkreis?

Kroos: Nein, so realistisch müssen wir sein. Aber das sage ich Stand heute. Außerdem heißt das nicht, dass wir nicht große Ambitionen und hohe Ziele haben. Wir wollen ein Wörtchen mitreden, wir haben den Anspruch, weit zu kommen. Für Prognosen ist es aber noch zu früh. Wir müssen auch einfach abwarten, wie die personelle Konstellation in einem halben Jahr ist. Zum Beispiel was mit Leroy Sané und Niklas Süle bis dahin passiert. Klar ist, dass wir als Mannschaft die wenigen Spiele und die kurze Zeit bis zum Turnier optimal nutzen müssen. Es wird wieder so sein, dass wir eine gute Vorbereitung benötigen, in der wir uns als Mannschaft noch mehr finden. Zur Wahrheit gehört, dass es zwei, drei Nationen gibt, die uns im Moment einen Schritt voraus sind. Das heißt aber nicht, dass es im Juni immer noch so sein muss.

DFB.de: Bei der EM im kommenden Sommer wird die Nationalmannschaft mindestens dreimal in München spielen. Wie sehr freuen Sie sich darauf, mal wieder Heimspiele in München zu haben?

Kroos: Unabhängig vom konkreten Standpunkt finde ich es toll, dass wir Spiele zu Hause haben. Ich hoffe, dass wir das zu einem Vorteil machen können. Auf diese Heimspiele freuen sich die Fans, auf diese Heimspiele freue ich mich, auf diese Heimspiele freuen wir uns als Mannschaft.

DFB.de: Über die Fortsetzung Ihrer Nationalmannschaftskarriere wollen Sie nach der EM nachdenken. Wie groß ist der Einfluss des sportlichen Abschneidens auf Ihre Entscheidung?

Kroos: Null, das spielt keine Rolle. Wenn es dabei um Erfolg oder Misserfolg geht, hätte ich 2014 nach dem Titel oder 2018 nach dem frühen Aus meine Nationalmannschaftskarriere beenden müssen. Für mich sind andere Dinge entscheidend. Ich habe an mich den Anspruch, top zu sein und top zu spielen. Und wenn ein neuer Zyklus beginnt, muss ich mir selber zutrauen, dieses Niveau auch am Ende des Zyklus' noch zu haben. Niemand weiß besser als ich, was dafür nötig ist und was mein Körper dafür braucht. Meine volle Konzentration gilt jetzt der EM - und danach werde ich in mich hineinhören und mir meine Gedanken machen.

DFB.de: Stimmen Sie zu, dass Sie vom Spielertyp her zumindest theoretisch noch lange auf hohem Niveau spielen könnten?

Kroos: Weil?

DFB.de: Sie leben nicht von Geschwindigkeit und Robustheit. Ihre Fähigkeiten altern langsamer. Präzision, Ruhe und Spielverständnis haben keinen großen Verschleiß.

Kroos: Das stimmt nur teilweise. Bei mir sieht alles vielleicht ein wenig leichter aus, und ich bin auch kein Spieler, der kurz davor ist, 100-Meter-Weltrekordler zu werden. Aber es wird gerne übersehen, dass ich fast immer zu den Spielern mit der größten Laufleistung gehöre. Vielleicht nicht im Topspeed, aber von der Distanz gehöre ich regelmäßig zu den Top Drei. Und das mache ich alle drei, vier Tage. Natürlich merke ich das über die Jahre. Außerdem ist die Frage, wie lange ich noch in der Nationalmannschaft spiele, nicht nur eine Frage des Könnens, sondern auch eine Frage des Wollens.

DFB.de: Das müssen Sie erklären.

Kroos: Neben dem körperlichen Verschleiß geht es auch um den mentalen Verschleiß. Ich bin ein großer Familienmensch, und durch die vielen Reisen verpasse ich viel Familienzeit. Für mich ist das ein riesiges Opfer. Die Zeit mit den Kindern kommt nicht mehr wieder, und die Kinder brauchen beide Eltern nie mehr so wie jetzt in den jungen Jahren. Auch das spielt bei der Abwägung eine Rolle. Die Frage ist, wie viel mir eine Fortsetzung der Nationalmannschaftskarriere gibt und bis zu welchem Grad ich bereit bin, dafür auf andere Sachen zu verzichten.

DFB.de: Neben dem Fußballer Toni Kroos und dem Familienvater Toni Kroos gibt es den Stiftungsbetreiber Toni Kroos. Wir haben uns vorhin über Highlights 2019 unterhalten - können Sie aus Sicht der Stiftung ein solches benennen?

Kroos: Die Stiftungsarbeit ist ein Prozess, der seit knapp viereinhalb Jahren läuft. Dabei gab es zum Glück schon viele schöne Momente. Es ist jedes Mal toll, wenn wir das Feedback erhalten, dass unsere Hilfe ankommt und für eine Familie eine Erleichterung darstellt. Ich will da aber keine Wertung vornehmen. Mir und uns als Stiftung bedeutet es jedes Mal viel, wenn wir merken, dass wir einem Kind und seiner Familie helfen konnten.

DFB.de: War es für Sie nicht besonders schön, dass Ihre Stiftung in diesem Jahr mit dem Kinderhospiz in Greifswald eine weitere Einrichtung unterstützt - in Ihrer Heimat?

Kroos: Die Zusammenarbeit mit dem "Leuchtturm" hat ja gerade erst begonnen. Es ist also nicht so, dass ich jetzt schon ein Einzelschicksal nennen könnte, das für mich besonders emotional wäre. Wir haben einfach geschaut, was wir in meiner Heimat machen können. Die Einrichtung dort ist kein klassisches Hospiz, wie wir es zum Beispiel in Berlin oder Düsseldorf haben. Es ist ein ambulanter Hospizdienst, der "Leuchtturm" betreut die Kinder zu Hause, die Mitarbeiter besuchen die Familien und helfen, wo und wie sie helfen können.

DFB.de: Mit Ihrer Stiftung unterstützen Sie Kinder, die an lebensverkürzenden Krankheiten leiden. Wie sehr berührt es Sie, wenn Sie die Nachricht erhalten, dass eines der Kinder gestorben ist?

Kroos: Ich bekomme das natürlich mit, das lässt sich ja auch nicht ausklammern. Es gab zuletzt einen Fall, der mir und noch mehr meinem Bruder besonders nahegegangen ist. In Berlin gab es ein Mädchen, das sich einen Hubschrauberflug gewünscht hat. Wir konnten ihr diesen Wunsch noch erfüllen - aber kurze Zeit später ist sie dann gestorben. Das nimmt einen dann schon mit. In diesem Fall ganz besonders meinen Bruder, weil er dieses Mädchen noch ein paar Tage zuvor getroffen hatte.

DFB.de: Ihnen als Familienvater müssen Schicksale wie dieses doch besonders nahegehen.

Kroos: Total. Und trotzdem ist auch die Geschichte dieses kleinen Mädchens eine Bestätigung für uns und für alles, was wir in der Stiftung machen. Wir haben dazu beigetragen, diesem Kind an einem seiner letzten Tage noch mal ein paar schöne Stunden, Freude und Spaß bereitet zu haben. Dies ist trotz der großen Traurigkeit ein schönes Gefühl.

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