Köpke über den Mythos Wembley: "Dieser Ort hat was Magisches"

Das Kribbeln war sofort da, Andreas Köpke wurde schnell erfasst von Charme und Mythos des Wembley-Stadions. Ein heiliger Ort des Fußballs, eine Arena voller Geschichte und Geschichten, zu denen Köpke bei der EURO 1996 weitere Kapitel hinzugefügt hat. Der heutige Torwarttrainer der Nationalmannschaft kennt beide Wembley-Versionen, das alte und das neue. Im neuen spielt die DFB-Auswahl heute (ab 18 Uhr, live in der ARD und bei MagentaTV) im EM-Achtelfinale gegen Gastgeber England. Andreas Köpke sitzt dann als Assistent von Bundestrainer Joachim Löw auf der Bank. Im DFB.de-Interview spricht der 59 Jahre alte Europameister von 1996 über Wembley.

DFB.de: Sie haben in etlichen Stadien Fußball gespielt, mit Ihren Vereinen, mit der Nationalmannschaft. Auch nach der aktiven Karriere haben Sie als Torwarttrainer der Nationalmannschaft viele Arenen erlebt. Haben Sie unter den vielen Stadien ein Lieblingsstadion?

Andreas Köpke: Es gibt auch in Deutschland wirklich großartige Stadien. Gemocht habe ich die Spiele in Dortmund, die Südtribüne, die gelbe Wand, das ist schon imponierend. Heute beeindruckt mich auch das Stadion in Frankfurt, was die Fans dort veranstalten, ist bemerkenswert. Es gibt noch einige andere Arenen in Deutschland, in denen eine großartige Stimmung herrscht. Die Antwort auf die Frage nach dem Stadion, in dem ich als Spieler am liebsten gespielt habe, ist aber eindeutig: das alte Wembley-Stadion in London.

DFB.de: Sie haben nur zweimal dort gespielt - warum ist dieses Stadion dennoch Ihr Lieblingsstadion?

Köpke: Meine großen Erfolge hatte ich mit der Nationalmannschaft. Natürlich den Titel bei der WM 1990 in Italien, aber noch mehr den bei der EM 1996 in England bei meinem ersten Turnier als Stammtorwart. Es hat damals viel gepasst: Wir wurden in England Europameister, haben im Halbfinale den Gastgeber geschlagen und dort im Finale den Titel geholt. In diesem altehrwürdigen Stadion, einer Arena mit so großer Geschichte. Das Wembley-Stadion ist ein Mythos, für Fußballer ist dieses Stadion ein besonderer Ort. Dort gespielt, bestanden und triumphiert zu haben, ist für mich im Rahmen meiner Spielerkarriere auf jeden Fall das Erlebnis, das unter vielen anderen tollen Momenten noch einmal hervorsticht.

DFB.de: Wissen Sie noch, wann Ihnen das Wembley-Stadion, der Mythos Wembley, zum ersten Mal zu Ohren gekommen ist?

Köpke: Ich kann das nicht an einem Augenblick festmachen. Für Fußballer ist das einfach ein Begriff: Wembley, das Wembley-Stadion, der Mythos Wembley. Bei der WM 1966, als das Wembley-Tor fiel, war ich noch zu klein, an dieses Turnier habe ich keine eigenen Erinnerungen. Und trotzdem: Das Wembley-Stadion hatte auch für mich immer einen besonderen Klang. "Wembley" kann man ohne "Mythos" fast gar nicht sagen. Dort sind so viele große Fußballspiele gespielt worden, es sind so viele besondere Dinge passiert – wenn man Fußballer ist, bleibt es nicht aus, dass man das Wembley-Stadion als besonderen Ort verinnerlicht.

DFB.de: Gilt das für einen deutschen Torhüter in besonderer Weise? Ein spezielles Kapitel des Mythos Wembley ist die Erzählung von Bert Trautmann, der sich in diesem Stadion 1956 im Finale des FA-Cups das Genick brach und mit dieser schlimmen Verletzung den Sieg von Manchester City gegen Birmingham City festhielt.

Köpke: Ich hatte 1996 im Rahmen der EM das Glück, Bert Trautmann kennenzulernen. Ich habe ihn als sehr netten, interessanten und angenehmen Menschen erlebt. Seine Heldentaten und das Jahr 1956 waren aber so weit vor meiner Zeit, ich würde lügen, wenn ich behaupte, dass diese Episode für mich eine besondere Rolle gespielt hat. Bert Trautmann verbinde ich mit seiner sehr speziellen Geschichte – und nicht in erster Linie mit dem Wembley-Stadion.

DFB.de: Sie haben das Stadion 1996 im Rahmen der Europameisterschaft in England erlebt. Erinnern Sie sich noch an Ihre ersten Eindrücke vor Ort?

Köpke: Die ersten vier Spiele haben wir in Manchester absolviert, im Old Trafford, auch das war und ist ein fantastisches Stadion. Für das Halbfinale ging es nach London. Mein erstes Erlebnis dort war das Abschlusstraining. Wenn man auf dieses Stadion zufährt und dann das Spielfeld betritt, dann ist das einfach beeindruckend. Ich kann es mit dem WM-Finale 2014 im Maracanã in Rio vergleichen. Es ist schwer zu beschreiben – diese Arenen machen etwas mit einem. Dieses Kribbeln im Bauch hatte ich in zwei Stadien: 2014 im Maracanã und 1996 im Wembley. Die Bauwerke spielen dabei eine Rolle, die Geschichten der Stadien und natürlich auch die Größe des bevorstehenden Ereignisses.

DFB.de: Legendär ist auch der Rasen im Wembley. Wie hat sich der "heilige Rasen" Ihnen präsentiert?

Köpke: Wahnsinn, wie ein Teppich. Man mochte da gar nicht mit Fußballschuhen draufgehen, mit unseren 18er-Alustollen. Ich war sehr überrascht, vor allem, wie gut der Torraum aussah. Da war kein Grashalm umgeknickt, alles war perfekt. Der Rasen im Wembley-Stadion ist ja auch der ganze Stolz der Engländer, er wird 365 Tage im Jahr gepflegt.

DFB.de: Der Rasen war perfekt. Der Rest des Stadions – zumindest im Vergleich zu heute – allerdings wenig komfortabel.

Köpke: Absolut. Wobei dieses Rustikale zum Charme des Stadions beiträgt. Die Kabinen waren klein, nichts war pompös. Es gab kein großes Entmüdungsbecken, es gab dafür ein paar einzelne Badewannen. In den Katakomben lagen diverse Holzbalken am Boden rum, die Decken waren niedrig.

DFB.de: Und trotzdem schwärmen alle, die dort waren, vom alten Wembley-Stadion. Was macht dieses Stadion so besonders?

Köpke: Wembley war immer ein Ort für besondere Spiele. Dort fanden nur die Länderspiele und das Finale des FA-Cups statt. Immer, wenn das Wembley-Stadion Thema war, dann im Zusammenhang mit großen und wichtigen und oft spannenden, hochklassigen und intensiven Spielen. Wer im Wembley spielt, weiß, dass er in einem wichtigen Spiel spielt. Aber natürlich ist Wembley mehr als seine Historie, dieser Ort hat einfach etwas Magisches, das sich nicht nur mit der Vergangenheit erklären lässt.

DFB.de: Vor dem Halbfinale gegen England waren Sie und Torwarttrainer Sepp Maier zum Warmmachen wie üblich einige Minuten vor den Feldspielern auf dem Rasen. Wie war die Stimmung in diesen Minuten?

Köpke: Ich war vor den Spielen sehr fokussiert und habe nicht alles mitbekommen, was rechts und links passierte. Aber natürlich nimmt man doch ein bisschen was wahr. Die Gesänge der englischen Fans, dieses „Football’s coming home“, habe ich natürlich gehört.

DFB.de: Vor dem Anpfiff wurden die Nationalhymnen gespielt. Paul Young sollte "God Save the Queen" singen. Er holte Luft, legte los und brach nach dem ersten Ton ab, überwältigt und erschlagen von der Lautstärke und der Hingabe, mit der das Wembley die britische Hymne schmetterte. Haben Sie dies registriert?

Köpke: Ja. Ich weiß nicht, ob ich damals eine Gänsehaut bekommen habe, aber heute geht es mir so, wenn ich daran denke. Wir wussten zwar, dass die Engländer inbrünstig ihre Hymne singen können, aber die Lautstärke vor dem Halbfinale war schon bemerkenswert. Wie haben Sie die englischen Fans im Wembley erlebt? Es war eine kleine Reise. Vor dem Spiel gab es Feindseligkeit, auch Hass. Die Boulevard-Medien in England haben da keine gute Rolle gespielt. Wir wurden mit Stahlhelmen abgebildet, es wurde mit vielen Klischees gespielt. Aber während der 120 Minuten gab es einen kompletten Wandel.

DFB.de: Inwiefern?

Köpke: Je länger das Spiel dauerte, so großartiger wurde die Atmosphäre. Die Fans sitzen im Wembley gar nicht so dicht am Spielfeld, trotzdem hat man als Spieler das Gefühl großer Nähe. Was ich von den Rängen immer mehr gespürt habe, waren Respekt und Fairness. Das Spiel ging hin und her, es hätte mehrfach in beide Richtungen kippen können, Anderton trifft den Pfosten, uns haben sie ein Tor von Stefan Kuntz weggepfiffen, beide Mannschaften haben bis aufs Blut gefightet, dann das Elfmeterschießen. Das Spiel und die Dramaturgie haben etwas ausgelöst. Nach der Partie ist niemand nach Hause gegangen, die Fans beider Mannschaften haben die Spieler beider Mannschaften gefeiert, beide Teams haben unter dem Jubel von knapp 80.000 eine Ehrenrunde gedreht.

DFB.de: Lag das nur am Spiel – oder auch am Stadion? Spüren Fans, dass sie die Pflicht haben, sich mit ihrem Verhalten der "Kathedrale des Fußballs" würdig zu erweisen?

Köpke: Es kann schon sein, dass der Ort auch in dieser Hinsicht eine Wirkung hat. Wobei es grundsätzlich so ist, dass die Engländer für Fair Play stehen und dafür kein Stadion benötigen. Ich glaube, sie haben einfach unsere Leistung respektiert, unseren Kampf, unsere Geschlossenheit und Leidensfähigkeit. Wahrscheinlich hätten wir dafür gerade von englischen Fans auch in anderen Stadien Ovationen erhalten.

DFB.de: Vier Tage nach dem Halbfinale folgte Spiel Nummer zwei in Wembley, das Finale gegen Tschechien. Wie haben Sie das Wembley in diesem Spiel erlebt?

Köpke: Es war anders, eben weil es nicht gegen England ging. Atmosphärisch steht das Halbfinale für mich einen Tick über dem Endspiel. Mit dem Golden Goal hatte das Finale natürlich einen unglaublichen Schlusspunkt, aber das Spiel an sich war weniger spektakulär. Im Finale waren wir sehr angespannt, das Spiel war weniger euphorisch, das Ende war Drama, das Spiel selber nicht. Ich will es aber nicht kleinreden, auch das Endspiel wird bei mir immer einen besonderen Stellenwert haben. Wir haben beide Spiele im Wembley gewonnen, und ohne den zweiten Sieg wäre der erste nicht mehr viel wert gewesen.

DFB.de: Das alte Wembley-Stadion wurde 2003 abgerissen und 2007 durch das neue ersetzt. Sie haben in diesem Stadion zwar nicht mehr gespielt, waren dort aber als Torwarttrainer der deutschen Nationalmannschaft aktiv.

Köpke: Ich kenne beide Versionen des Stadions. Besonders in Erinnerung ist mir eine Episode aus dem Jahr 2013, als wir zum Abschlusstraining geschlossen mit der U-Bahn gefahren sind. Wir hatten Angst vor dem Verkehr in London, und Per Mertesacker brachte den Gedanken auf, dass wir mit der U-Bahn viel schneller und unkomplizierter zum Stadion kommen würden. So wurde es dann kurz entschlossen gemacht. Es war erstaunlich, es hat niemand groß Notiz von uns genommen. Dass da die deutsche Nationalmannschaft mit der U-Bahn zum Wembley-Stadion fährt, hat die Londoner nicht interessiert. Den Spielern hat es so gut gefallen, dass einige auch den Weg zurück zum Hotel mit der U-Bahn gefahren sind, obwohl der Verkehr abends viel weniger dramatisch war und der Mannschaftsbus am Stadion zur Abfahrt bereitstand.

DFB.de: Alt oder neu: Welche Variante des Stadions gefällt Ihnen besser?

Köpke: Ich finde, dass das Stadion auch heute noch super ist, auch ist die Stimmung immer noch großartig, wenn England dort spielt. Ich finde auch nicht, dass der Mythos mit dem Neubau gestorben ist. Er hat sich vielleicht ein wenig verwandelt, aber den Mythos Wembley wird es immer geben.

[sl]

Das Kribbeln war sofort da, Andreas Köpke wurde schnell erfasst von Charme und Mythos des Wembley-Stadions. Ein heiliger Ort des Fußballs, eine Arena voller Geschichte und Geschichten, zu denen Köpke bei der EURO 1996 weitere Kapitel hinzugefügt hat. Der heutige Torwarttrainer der Nationalmannschaft kennt beide Wembley-Versionen, das alte und das neue. Im neuen spielt die DFB-Auswahl heute (ab 18 Uhr, live in der ARD und bei MagentaTV) im EM-Achtelfinale gegen Gastgeber England. Andreas Köpke sitzt dann als Assistent von Bundestrainer Joachim Löw auf der Bank. Im DFB.de-Interview spricht der 59 Jahre alte Europameister von 1996 über Wembley.

DFB.de: Sie haben in etlichen Stadien Fußball gespielt, mit Ihren Vereinen, mit der Nationalmannschaft. Auch nach der aktiven Karriere haben Sie als Torwarttrainer der Nationalmannschaft viele Arenen erlebt. Haben Sie unter den vielen Stadien ein Lieblingsstadion?

Andreas Köpke: Es gibt auch in Deutschland wirklich großartige Stadien. Gemocht habe ich die Spiele in Dortmund, die Südtribüne, die gelbe Wand, das ist schon imponierend. Heute beeindruckt mich auch das Stadion in Frankfurt, was die Fans dort veranstalten, ist bemerkenswert. Es gibt noch einige andere Arenen in Deutschland, in denen eine großartige Stimmung herrscht. Die Antwort auf die Frage nach dem Stadion, in dem ich als Spieler am liebsten gespielt habe, ist aber eindeutig: das alte Wembley-Stadion in London.

DFB.de: Sie haben nur zweimal dort gespielt - warum ist dieses Stadion dennoch Ihr Lieblingsstadion?

Köpke: Meine großen Erfolge hatte ich mit der Nationalmannschaft. Natürlich den Titel bei der WM 1990 in Italien, aber noch mehr den bei der EM 1996 in England bei meinem ersten Turnier als Stammtorwart. Es hat damals viel gepasst: Wir wurden in England Europameister, haben im Halbfinale den Gastgeber geschlagen und dort im Finale den Titel geholt. In diesem altehrwürdigen Stadion, einer Arena mit so großer Geschichte. Das Wembley-Stadion ist ein Mythos, für Fußballer ist dieses Stadion ein besonderer Ort. Dort gespielt, bestanden und triumphiert zu haben, ist für mich im Rahmen meiner Spielerkarriere auf jeden Fall das Erlebnis, das unter vielen anderen tollen Momenten noch einmal hervorsticht.

DFB.de: Wissen Sie noch, wann Ihnen das Wembley-Stadion, der Mythos Wembley, zum ersten Mal zu Ohren gekommen ist?

Köpke: Ich kann das nicht an einem Augenblick festmachen. Für Fußballer ist das einfach ein Begriff: Wembley, das Wembley-Stadion, der Mythos Wembley. Bei der WM 1966, als das Wembley-Tor fiel, war ich noch zu klein, an dieses Turnier habe ich keine eigenen Erinnerungen. Und trotzdem: Das Wembley-Stadion hatte auch für mich immer einen besonderen Klang. "Wembley" kann man ohne "Mythos" fast gar nicht sagen. Dort sind so viele große Fußballspiele gespielt worden, es sind so viele besondere Dinge passiert – wenn man Fußballer ist, bleibt es nicht aus, dass man das Wembley-Stadion als besonderen Ort verinnerlicht.

DFB.de: Gilt das für einen deutschen Torhüter in besonderer Weise? Ein spezielles Kapitel des Mythos Wembley ist die Erzählung von Bert Trautmann, der sich in diesem Stadion 1956 im Finale des FA-Cups das Genick brach und mit dieser schlimmen Verletzung den Sieg von Manchester City gegen Birmingham City festhielt.

Köpke: Ich hatte 1996 im Rahmen der EM das Glück, Bert Trautmann kennenzulernen. Ich habe ihn als sehr netten, interessanten und angenehmen Menschen erlebt. Seine Heldentaten und das Jahr 1956 waren aber so weit vor meiner Zeit, ich würde lügen, wenn ich behaupte, dass diese Episode für mich eine besondere Rolle gespielt hat. Bert Trautmann verbinde ich mit seiner sehr speziellen Geschichte – und nicht in erster Linie mit dem Wembley-Stadion.

DFB.de: Sie haben das Stadion 1996 im Rahmen der Europameisterschaft in England erlebt. Erinnern Sie sich noch an Ihre ersten Eindrücke vor Ort?

Köpke: Die ersten vier Spiele haben wir in Manchester absolviert, im Old Trafford, auch das war und ist ein fantastisches Stadion. Für das Halbfinale ging es nach London. Mein erstes Erlebnis dort war das Abschlusstraining. Wenn man auf dieses Stadion zufährt und dann das Spielfeld betritt, dann ist das einfach beeindruckend. Ich kann es mit dem WM-Finale 2014 im Maracanã in Rio vergleichen. Es ist schwer zu beschreiben – diese Arenen machen etwas mit einem. Dieses Kribbeln im Bauch hatte ich in zwei Stadien: 2014 im Maracanã und 1996 im Wembley. Die Bauwerke spielen dabei eine Rolle, die Geschichten der Stadien und natürlich auch die Größe des bevorstehenden Ereignisses.

DFB.de: Legendär ist auch der Rasen im Wembley. Wie hat sich der "heilige Rasen" Ihnen präsentiert?

Köpke: Wahnsinn, wie ein Teppich. Man mochte da gar nicht mit Fußballschuhen draufgehen, mit unseren 18er-Alustollen. Ich war sehr überrascht, vor allem, wie gut der Torraum aussah. Da war kein Grashalm umgeknickt, alles war perfekt. Der Rasen im Wembley-Stadion ist ja auch der ganze Stolz der Engländer, er wird 365 Tage im Jahr gepflegt.

DFB.de: Der Rasen war perfekt. Der Rest des Stadions – zumindest im Vergleich zu heute – allerdings wenig komfortabel.

Köpke: Absolut. Wobei dieses Rustikale zum Charme des Stadions beiträgt. Die Kabinen waren klein, nichts war pompös. Es gab kein großes Entmüdungsbecken, es gab dafür ein paar einzelne Badewannen. In den Katakomben lagen diverse Holzbalken am Boden rum, die Decken waren niedrig.

DFB.de: Und trotzdem schwärmen alle, die dort waren, vom alten Wembley-Stadion. Was macht dieses Stadion so besonders?

Köpke: Wembley war immer ein Ort für besondere Spiele. Dort fanden nur die Länderspiele und das Finale des FA-Cups statt. Immer, wenn das Wembley-Stadion Thema war, dann im Zusammenhang mit großen und wichtigen und oft spannenden, hochklassigen und intensiven Spielen. Wer im Wembley spielt, weiß, dass er in einem wichtigen Spiel spielt. Aber natürlich ist Wembley mehr als seine Historie, dieser Ort hat einfach etwas Magisches, das sich nicht nur mit der Vergangenheit erklären lässt.

DFB.de: Vor dem Halbfinale gegen England waren Sie und Torwarttrainer Sepp Maier zum Warmmachen wie üblich einige Minuten vor den Feldspielern auf dem Rasen. Wie war die Stimmung in diesen Minuten?

Köpke: Ich war vor den Spielen sehr fokussiert und habe nicht alles mitbekommen, was rechts und links passierte. Aber natürlich nimmt man doch ein bisschen was wahr. Die Gesänge der englischen Fans, dieses „Football’s coming home“, habe ich natürlich gehört.

DFB.de: Vor dem Anpfiff wurden die Nationalhymnen gespielt. Paul Young sollte "God Save the Queen" singen. Er holte Luft, legte los und brach nach dem ersten Ton ab, überwältigt und erschlagen von der Lautstärke und der Hingabe, mit der das Wembley die britische Hymne schmetterte. Haben Sie dies registriert?

Köpke: Ja. Ich weiß nicht, ob ich damals eine Gänsehaut bekommen habe, aber heute geht es mir so, wenn ich daran denke. Wir wussten zwar, dass die Engländer inbrünstig ihre Hymne singen können, aber die Lautstärke vor dem Halbfinale war schon bemerkenswert. Wie haben Sie die englischen Fans im Wembley erlebt? Es war eine kleine Reise. Vor dem Spiel gab es Feindseligkeit, auch Hass. Die Boulevard-Medien in England haben da keine gute Rolle gespielt. Wir wurden mit Stahlhelmen abgebildet, es wurde mit vielen Klischees gespielt. Aber während der 120 Minuten gab es einen kompletten Wandel.

DFB.de: Inwiefern?

Köpke: Je länger das Spiel dauerte, so großartiger wurde die Atmosphäre. Die Fans sitzen im Wembley gar nicht so dicht am Spielfeld, trotzdem hat man als Spieler das Gefühl großer Nähe. Was ich von den Rängen immer mehr gespürt habe, waren Respekt und Fairness. Das Spiel ging hin und her, es hätte mehrfach in beide Richtungen kippen können, Anderton trifft den Pfosten, uns haben sie ein Tor von Stefan Kuntz weggepfiffen, beide Mannschaften haben bis aufs Blut gefightet, dann das Elfmeterschießen. Das Spiel und die Dramaturgie haben etwas ausgelöst. Nach der Partie ist niemand nach Hause gegangen, die Fans beider Mannschaften haben die Spieler beider Mannschaften gefeiert, beide Teams haben unter dem Jubel von knapp 80.000 eine Ehrenrunde gedreht.

DFB.de: Lag das nur am Spiel – oder auch am Stadion? Spüren Fans, dass sie die Pflicht haben, sich mit ihrem Verhalten der "Kathedrale des Fußballs" würdig zu erweisen?

Köpke: Es kann schon sein, dass der Ort auch in dieser Hinsicht eine Wirkung hat. Wobei es grundsätzlich so ist, dass die Engländer für Fair Play stehen und dafür kein Stadion benötigen. Ich glaube, sie haben einfach unsere Leistung respektiert, unseren Kampf, unsere Geschlossenheit und Leidensfähigkeit. Wahrscheinlich hätten wir dafür gerade von englischen Fans auch in anderen Stadien Ovationen erhalten.

DFB.de: Vier Tage nach dem Halbfinale folgte Spiel Nummer zwei in Wembley, das Finale gegen Tschechien. Wie haben Sie das Wembley in diesem Spiel erlebt?

Köpke: Es war anders, eben weil es nicht gegen England ging. Atmosphärisch steht das Halbfinale für mich einen Tick über dem Endspiel. Mit dem Golden Goal hatte das Finale natürlich einen unglaublichen Schlusspunkt, aber das Spiel an sich war weniger spektakulär. Im Finale waren wir sehr angespannt, das Spiel war weniger euphorisch, das Ende war Drama, das Spiel selber nicht. Ich will es aber nicht kleinreden, auch das Endspiel wird bei mir immer einen besonderen Stellenwert haben. Wir haben beide Spiele im Wembley gewonnen, und ohne den zweiten Sieg wäre der erste nicht mehr viel wert gewesen.

DFB.de: Das alte Wembley-Stadion wurde 2003 abgerissen und 2007 durch das neue ersetzt. Sie haben in diesem Stadion zwar nicht mehr gespielt, waren dort aber als Torwarttrainer der deutschen Nationalmannschaft aktiv.

Köpke: Ich kenne beide Versionen des Stadions. Besonders in Erinnerung ist mir eine Episode aus dem Jahr 2013, als wir zum Abschlusstraining geschlossen mit der U-Bahn gefahren sind. Wir hatten Angst vor dem Verkehr in London, und Per Mertesacker brachte den Gedanken auf, dass wir mit der U-Bahn viel schneller und unkomplizierter zum Stadion kommen würden. So wurde es dann kurz entschlossen gemacht. Es war erstaunlich, es hat niemand groß Notiz von uns genommen. Dass da die deutsche Nationalmannschaft mit der U-Bahn zum Wembley-Stadion fährt, hat die Londoner nicht interessiert. Den Spielern hat es so gut gefallen, dass einige auch den Weg zurück zum Hotel mit der U-Bahn gefahren sind, obwohl der Verkehr abends viel weniger dramatisch war und der Mannschaftsbus am Stadion zur Abfahrt bereitstand.

DFB.de: Alt oder neu: Welche Variante des Stadions gefällt Ihnen besser?

Köpke: Ich finde, dass das Stadion auch heute noch super ist, auch ist die Stimmung immer noch großartig, wenn England dort spielt. Ich finde auch nicht, dass der Mythos mit dem Neubau gestorben ist. Er hat sich vielleicht ein wenig verwandelt, aber den Mythos Wembley wird es immer geben.

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