Ilkay Gündogan: Mittendrin!

2018 war für Ilkay Gündogan aus verschiedenen Gründen sehr speziell. 2019 beginnt ebenfalls speziell, nur ganz anders. Im Spiel gegen Serbien trug der 28-Jährige zum ersten Mal die Spielführerbinde der deutschen Nationalmannschaft. Für das Team und für Gündogan gilt: Das Jahr hat gut begonnen, so darf es weitergehen. Auch wenn Gündogan auf Klubebene mit Manchester City nach einem dramatischen Rückspiel in der Champions League im Viertelfinale an Tottenham scheiterte.

Manuel Neuer hat in seinem Job als Torhüter mit seinen Händen schon viele gute Dinge angestellt. Meistens, wenn er zwischen den Pfosten stand und verhinderte, dass andere jubeln können. In Wolfsburg bestand eine gute Tat des Kapitäns darin, mit seinen Händen seine Nachfolge zu regeln, zumindest zeitweise. In der Halbzeit des Spiels gegen Serbien wurde Neuer ausgewechselt, er streifte sich die Spielführerbinde vom Arm und reichte sie an Gündogan weiter. Du bist dran! Also lief Gündogan in den zweiten 45 Minuten des Spiels gegen Serbien als Kapitän der deutschen Nationalmannschaft über den Rasen. Überrascht sei er gewesen, sagte Gündogan hinterher, er sprach von einer "kuriosen Wende", die seine Länderspiel-Laufbahn unvermittelt genommen habe und darüber, wie stolz er sei, dieses Team als Kapitän anzuführen. "Ich habe die Kapitänsbinde voller Respekt angenommen", sagte er. "Die Binde zum ersten Mal zu tragen, war etwas Besonderes."

Das zusätzliche Gewicht am Arm hat Gündogans Spiel keine Unwucht verliehen. Im Gegenteil: In den ersten 45 Minuten gegen Serbien spielte die ganze deutsche Mannschaft zu passiv, auch Gündogan. In der zweiten Halbzeit spielte Kapitän Gündogan besser Fußball und mit ihm die ganze Mannschaft. Leon Goretzka traf zum Ausgleich, das Spiel endete 1:1, Remis.

Wie im Lehrbuch

In der Qualifikation für die EURO 2020 ging es vier Tage später zum Auftakt in Amsterdam gegen die Niederlande. Ziemlich lange lief ziemlich viel ziemlich gut. Auch ohne Gündogan. Nach Toren von Leroy Sané und Serge Gnabry führte Deutschland zur Pause mit 2:0. Nach dem Seitenwechsel kam der Bruch, Tore von Memphis Depay und Matthijs de Ligt stellten alles wieder auf null. Die junge deutsche Mannschaft fand nicht mehr zu ihrem Spiel. Dann kam Gündogan, mit ihm verschoben sich die Gewichte, erst um Nuancen, kurz vor Schluss entscheidend. In der 90. Minute beschleunigte er mit einem Pass in die Gasse auf Marco Reus das Spiel, der legte zurück in die Mitte, wo Nico Schulz platziert abschloss und mit dem dritten Tor drei Punkte für Deutschland sicherte. Ein Spielzug wie im Lehrbuch – so in etwa dürfte es aussehen, wenn Bundestrainer Joachim Löw am Reißbrett Tore entwirft.

Ilkay Gündogan ist 28 Jahre alt, im besten Fußballer-Alter. In einem Alter, in dem er seine innere Mitte gefunden zu haben scheint. Nach Stationen in Bochum, Nürnberg und Dortmund spielt der Gelsenkirchener seit 2016 für Manchester City, bei Pep Guardiola. Mit Borussia Dortmund wurde Gündogan Deutscher Meister und DFB-Pokalsieger, mit ManCity wurde er englischer Meister. Dazu in seinen Anfängen der Bundesliga-Aufstieg mit Nürnberg.

Mit seinen Vereinen hat Gündogan schon große Erfolge gefeiert und Titel gewonnen. Mit der Nationalmannschaft noch nicht. 31 Partien für Deutschland sind für Gündogan notiert, gemessen an dem, was er kann, erheblich zu wenig. Immer wieder wurde er von seinem Körper im Stich gelassen, eine komplizierte Rückenverletzung kostete ihn die WM 2014, 2016 war es das Knie, das seinen Einsatz in Frankreich verhinderte. 2018 war Gündogan dabei, und für ihn galt in besonderer Weise, was für die gesamte Mannschaft festgehalten werden kann: Der Sommer 2018 war ein einziger Unfall, irgendwie auch eine Verletzung.

"Die Geschichte mit mir und der Nationalmannschaft ist noch nicht rund", sagt Gündogan heute. Die Wunden des Sommers 2018 verheilen langsam, vielleicht war die Kapitänsbinde im Spiel gegen Serbien für Gündogan eine Art Pflaster. Im Rahmen der ersten Länderspiele des Jahres wirkte er befreit, auch neben dem Platz. Gündogan ging voran, auch verbal. Wenn er über seine Ambitionen in der Nationalmannschaft spricht, klingt er sehr optimistisch: "Ich hoffe sehr, dass wir schon bald wieder erfolgreich sind und Titel gewinnen. Und ich wäre glücklich und stolz, wenn ich sagen könnte, dass ich daran Anteil habe."

Wert gezeigt

In den Spielen gegen Serbien und die Niederlande hat er gezeigt, welchen Wert er für das Team besitzt. Als Beschleuniger, als Passgeber, als Ruhepol, als Ballbesitzer. Die Diskussion um eine Änderung des Spielstils nach der WM in Russland hat er entspannt verfolgt. Mehr Konter, mehr Umschalten, weniger Ballbesitz. Weniger Gündogan?

Gündogan weiß viel zu gut, was er kann, um zu befürchten, dass seine Fähigkeiten künftig weniger gefragt sein würden. "Das Wesen des Spiels besteht darin, den Ball haben zu wollen, das wird im Fußball immer so sein", sagt er. "Wir haben in der Nationalmannschaft so viel Qualität, dass es grundsätzlich unser Anspruch sein sollte, das Spiel und das Spielgeschehen zu diktieren. Wir würden uns kleiner machen als wir sind, wenn wir uns künftig nur auf das Verteidigen und Umschalten beschränkten."

Im Frühjahr 2019 blickt Gündogan wieder viel zuversichtlicher auf seine Ziele mit der deutschen Nationalmannschaft, als er dies vor ein paar Monaten für möglich gehalten hätte. Natürlich könne Deutschland bei der EM 2020 um den Titel mitspielen, sagt er. Und natürlich habe er den Anspruch, dem Team bei diesem Vorhaben zu helfen. Gündogan denkt sogar noch weiter und sogar über die WM 2022 hinaus. Im Hinterkopf hat er die EURO 2024 in Deutschland. Als Kind und Fan hat er die Begeisterung bei der WM 2006 in Deutschland erlebt. Ein Turnier in der Heimat – Gündogan lässt sich auf den Gedanken ein, dass er 2024 noch nicht zwangläufig Ex-Nationalspieler sein muss. "Wenn man so eine Karriereplanung macht", sagt er, "dann könnte die EM in Deutschland meinen Weg schön abrunden."

[sl]

2018 war für Ilkay Gündogan aus verschiedenen Gründen sehr speziell. 2019 beginnt ebenfalls speziell, nur ganz anders. Im Spiel gegen Serbien trug der 28-Jährige zum ersten Mal die Spielführerbinde der deutschen Nationalmannschaft. Für das Team und für Gündogan gilt: Das Jahr hat gut begonnen, so darf es weitergehen. Auch wenn Gündogan auf Klubebene mit Manchester City nach einem dramatischen Rückspiel in der Champions League im Viertelfinale an Tottenham scheiterte.

Manuel Neuer hat in seinem Job als Torhüter mit seinen Händen schon viele gute Dinge angestellt. Meistens, wenn er zwischen den Pfosten stand und verhinderte, dass andere jubeln können. In Wolfsburg bestand eine gute Tat des Kapitäns darin, mit seinen Händen seine Nachfolge zu regeln, zumindest zeitweise. In der Halbzeit des Spiels gegen Serbien wurde Neuer ausgewechselt, er streifte sich die Spielführerbinde vom Arm und reichte sie an Gündogan weiter. Du bist dran! Also lief Gündogan in den zweiten 45 Minuten des Spiels gegen Serbien als Kapitän der deutschen Nationalmannschaft über den Rasen. Überrascht sei er gewesen, sagte Gündogan hinterher, er sprach von einer "kuriosen Wende", die seine Länderspiel-Laufbahn unvermittelt genommen habe und darüber, wie stolz er sei, dieses Team als Kapitän anzuführen. "Ich habe die Kapitänsbinde voller Respekt angenommen", sagte er. "Die Binde zum ersten Mal zu tragen, war etwas Besonderes."

Das zusätzliche Gewicht am Arm hat Gündogans Spiel keine Unwucht verliehen. Im Gegenteil: In den ersten 45 Minuten gegen Serbien spielte die ganze deutsche Mannschaft zu passiv, auch Gündogan. In der zweiten Halbzeit spielte Kapitän Gündogan besser Fußball und mit ihm die ganze Mannschaft. Leon Goretzka traf zum Ausgleich, das Spiel endete 1:1, Remis.

Wie im Lehrbuch

In der Qualifikation für die EURO 2020 ging es vier Tage später zum Auftakt in Amsterdam gegen die Niederlande. Ziemlich lange lief ziemlich viel ziemlich gut. Auch ohne Gündogan. Nach Toren von Leroy Sané und Serge Gnabry führte Deutschland zur Pause mit 2:0. Nach dem Seitenwechsel kam der Bruch, Tore von Memphis Depay und Matthijs de Ligt stellten alles wieder auf null. Die junge deutsche Mannschaft fand nicht mehr zu ihrem Spiel. Dann kam Gündogan, mit ihm verschoben sich die Gewichte, erst um Nuancen, kurz vor Schluss entscheidend. In der 90. Minute beschleunigte er mit einem Pass in die Gasse auf Marco Reus das Spiel, der legte zurück in die Mitte, wo Nico Schulz platziert abschloss und mit dem dritten Tor drei Punkte für Deutschland sicherte. Ein Spielzug wie im Lehrbuch – so in etwa dürfte es aussehen, wenn Bundestrainer Joachim Löw am Reißbrett Tore entwirft.

Ilkay Gündogan ist 28 Jahre alt, im besten Fußballer-Alter. In einem Alter, in dem er seine innere Mitte gefunden zu haben scheint. Nach Stationen in Bochum, Nürnberg und Dortmund spielt der Gelsenkirchener seit 2016 für Manchester City, bei Pep Guardiola. Mit Borussia Dortmund wurde Gündogan Deutscher Meister und DFB-Pokalsieger, mit ManCity wurde er englischer Meister. Dazu in seinen Anfängen der Bundesliga-Aufstieg mit Nürnberg.

Mit seinen Vereinen hat Gündogan schon große Erfolge gefeiert und Titel gewonnen. Mit der Nationalmannschaft noch nicht. 31 Partien für Deutschland sind für Gündogan notiert, gemessen an dem, was er kann, erheblich zu wenig. Immer wieder wurde er von seinem Körper im Stich gelassen, eine komplizierte Rückenverletzung kostete ihn die WM 2014, 2016 war es das Knie, das seinen Einsatz in Frankreich verhinderte. 2018 war Gündogan dabei, und für ihn galt in besonderer Weise, was für die gesamte Mannschaft festgehalten werden kann: Der Sommer 2018 war ein einziger Unfall, irgendwie auch eine Verletzung.

"Die Geschichte mit mir und der Nationalmannschaft ist noch nicht rund", sagt Gündogan heute. Die Wunden des Sommers 2018 verheilen langsam, vielleicht war die Kapitänsbinde im Spiel gegen Serbien für Gündogan eine Art Pflaster. Im Rahmen der ersten Länderspiele des Jahres wirkte er befreit, auch neben dem Platz. Gündogan ging voran, auch verbal. Wenn er über seine Ambitionen in der Nationalmannschaft spricht, klingt er sehr optimistisch: "Ich hoffe sehr, dass wir schon bald wieder erfolgreich sind und Titel gewinnen. Und ich wäre glücklich und stolz, wenn ich sagen könnte, dass ich daran Anteil habe."

Wert gezeigt

In den Spielen gegen Serbien und die Niederlande hat er gezeigt, welchen Wert er für das Team besitzt. Als Beschleuniger, als Passgeber, als Ruhepol, als Ballbesitzer. Die Diskussion um eine Änderung des Spielstils nach der WM in Russland hat er entspannt verfolgt. Mehr Konter, mehr Umschalten, weniger Ballbesitz. Weniger Gündogan?

Gündogan weiß viel zu gut, was er kann, um zu befürchten, dass seine Fähigkeiten künftig weniger gefragt sein würden. "Das Wesen des Spiels besteht darin, den Ball haben zu wollen, das wird im Fußball immer so sein", sagt er. "Wir haben in der Nationalmannschaft so viel Qualität, dass es grundsätzlich unser Anspruch sein sollte, das Spiel und das Spielgeschehen zu diktieren. Wir würden uns kleiner machen als wir sind, wenn wir uns künftig nur auf das Verteidigen und Umschalten beschränkten."

Im Frühjahr 2019 blickt Gündogan wieder viel zuversichtlicher auf seine Ziele mit der deutschen Nationalmannschaft, als er dies vor ein paar Monaten für möglich gehalten hätte. Natürlich könne Deutschland bei der EM 2020 um den Titel mitspielen, sagt er. Und natürlich habe er den Anspruch, dem Team bei diesem Vorhaben zu helfen. Gündogan denkt sogar noch weiter und sogar über die WM 2022 hinaus. Im Hinterkopf hat er die EURO 2024 in Deutschland. Als Kind und Fan hat er die Begeisterung bei der WM 2006 in Deutschland erlebt. Ein Turnier in der Heimat – Gündogan lässt sich auf den Gedanken ein, dass er 2024 noch nicht zwangläufig Ex-Nationalspieler sein muss. "Wenn man so eine Karriereplanung macht", sagt er, "dann könnte die EM in Deutschland meinen Weg schön abrunden."

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