Fischer: "In jeder Hinsicht überwältigend"

Klaus Fischer – als klassischer Mittelstürmer war er der Mann für besondere Tore. Fallrückzieher waren sein Markenzeichen. 1977 erzielte er gegen die Schweiz das Tor des Jahrhunderts, 1982 im WM-Halbfinale auf dem Weg ins Endspiel das Tor des Jahres und sechsmal das Tor des Monats. Der gelernte Glasbläser war als Torjäger ein Spezialist für spektakuläre Momente. Wie geschaffen also fürs Maracanã. Zweimal hatte er das Vergnügen, in diesem Tempel des Fußballs aufzulaufen. Zu seinem heutigen 71. Geburtstag hat DFB.de mit dem 45-maligen Nationalspieler über den Fußballtempel gesprochen.

DFB.de: Welche Relevanz, welchen Stellenwert hatte das Maracanã für Ihre Fußballkarriere, Herr Fischer?

Klaus Fischer: Schon als Bub wusste ich vom Hörensagen, dass es in Rio ein Stadion gibt, das mit Platz für 200.000 Zuschauer das größte der Welt sein soll. Dort einmal zu spielen, in Brasilien und in Rio, war damals ein Traum für jeden Fußballer.

DFB.de: Für Sie ging dieser Traum gleich zweimal in Erfüllung, 1977 und 1982.

Fischer: 1977 kam ich dabei mit dem brasilianischen Fußball erstmals direkt und ganz persönlich in Kontakt. Mit Zico, mit Cerezo und mit Rivelino, einem der Weltmeister aus dem Pelé-Team von 1970, ins Maracanã einzulaufen, hätte ich mir nie erträumen lassen.

DFB.de: Sie wuchsen fernab im Bayerischen Wald auf. Welche Rolle spielten in Ihrer Kindheit Brasilien und der brasilianische Fußball für Sie?

Fischer: Ob als Bub beim SC Kreuzstraßl oder danach als Teenager beim SC Zwiesel – für mich und uns alle gab es im Fußball zu jener Zeit nichts Schöneres und Größeres als Brasilien. Brasilien war einfach das Nonplusultra, das Absolute. Ballzauber und totale Fußballbegeisterung.

DFB.de: Wie hat sich dies Ihnen im Bayerischen Wald vermittelt?

Fischer: Der WM-Gewinn 1958 in Schweden über Fotos und Zeitungslektüre mit dem 17-jährigen Pelé als große Nummer. 1962 haben wir uns daheim dann zur WM in Chile erstmals einen Fernseher gekauft. Didi, Vava, Pelé wurden auch auf dem Bolzplatz immer festere Größen mit Nachahmungseffekt bei den Kindern. Garrincha, der Dribbelkönig, welch ein Rechtsaußen! Brasilien war mit seiner Fußballkunst das totale Spektakel – und ist es für viele ganz sicher auch heute noch.

DFB.de: Fußball als großes Spektakel – dafür sorgten auch Sie als Torjäger mit einer Vielzahl ganz besonderer Treffer wie Ihrem Fallrückzieher-Jahrhunderttor 1977 gegen die Schweiz oder viele andere fantastische Volltreffer. Klaus Fischer, der Brasilianer aus Zwiesel?

Fischer: So kann man das nicht sagen. (lacht) Weil ich ein anderer Typ als diese brasilianischen Mittelstürmer war. Die waren spielende Angriffskünstler, nicht so kopfballstark, aber technisch perfekt, unheimlich beweglich und geschmeidig, manchmal aber auch zu verspielt. Wir waren reine Torjäger. Wuchtig und kopfballstark und völlig auf den Torerfolg fixiert. Uwe Seeler, mein großes Vorbild, Gerd Müller, Horst Hrubesch oder die zudem noch pfeilschnellen Rudi Völler oder Jürgen Klinsmann. Deutschland war eigentlich immer ein Land der Mittelstürmer. Und wird es nach dem Rücktritt von Miro Klose hoffentlich bald wieder werden. Eher hatten wir Außenstürmer, die mit ihrem Trickreichtum Garrincha etwas näherkamen. Stan Libuda, Rüdiger Abramczik, Jürgen Grabowski oder Pierre Littbarski fallen mir im Rückblick auf die Schnelle ein. Mit Leroy Sané und Serge Gnabry sieht es dort heute wieder etwas vielversprechender aus.

DFB.de: Zurück zum Maracanã. Wann tauchte dieser Name erstmals in Ihrer Vorstellungswelt als Fußballer auf?

Fischer: Wann genau, daran kann ich mich nicht mehr erinnern. Ich wusste als Jugendspieler, dass am anderen Ende der Welt eine riesige Schüssel steht, die größte Arena der Welt. 17 war ich damals und hatte vor allem den Traum, unbedingt in der Bundesliga zu landen. Meine damalige Freundin, meine heutige Frau, kann Ihnen aber bestätigen, dass es damals auch mein Traum war, mal in Rio in diesem Riesenstadion zu spielen. Sie hat es zwar damals nicht geglaubt, doch es kam tatsächlich zustande.

DFB.de: Mit 17 spielten Sie für den SC Zwiesel noch in der Bezirksklasse. Elf Jahre später dann wahrhaftig im Maracanã. Wie erlebten Sie diesen Quantensprung?

Fischer: Wir haben in Zwiesel damals in der vierthöchsten Bezirksklasse schon vor 5000 Zuschauern gespielt, in einem Städtchen mit 10.000 Einwohnern. 32 Tore habe ich dort in meiner letzten Saison erzielt, bin dann nach einem Probetraining in Mönchengladbach – mit Günter Netzer, Jupp Heynckes oder Berti Vogts – bei 1860 München und ihren damaligen Stars um Peter Grosser und Petar Radenkovic in der Bundesliga angekommen. Das heißt, ich wurde langsam hingeführt an die Ausmaße des Maracanã. Dennoch: Der erste Eindruck im Juni 1977 war in jeder Hinsicht überwältigend. Dreimal so groß wie unser Schalker Parkstadion mit seinen 70.000 Plätzen, wo ich inzwischen gespielt habe. In der Bundesliga gab es nach der WM 1974 schon viele große und moderne Stadien. Doch das Maracanã und die Fußballbegeisterung in seinem Inneren übertrafen alles, was ich bis dahin erlebt hatte, bei Weitem.

DFB.de: Wie groß war Ihre Ehrfurcht, als Sie dieses Stadion, in dem Garrincha zuvor in seinem Abschiedsspiel von 140.000 Zuschauern gefeiert wurde, am 12. Juni 1977 zu Ihrem erst fünften Länderspiel betraten?

Fischer: Angst hatte ich nie, vor nichts und niemandem. Zumal ich ein paar Tage vorher in Buenos Aires zwei Tore zu unserem 3:1 gegen Argentinien erzielt hatte. Dennoch flößten mir die Ausmaße des Maracanã großen Respekt ein. In den riesigen Umkleidesälen, wo für jeden Spieler eine eigene Massagebank zur Verfügung stand, konnte man sich verlaufen und Fünf gegen Zwei spielen. Und auf dem Spielfeld konnten wir uns gar nicht richtig aufwärmen, weil überall Fernseh- und Rundfunkreporter rumrannten, die die brasilianischen Stars interviewten. 150.000 Fans in diesem riesigen Kessel wollten uns als amtierenden Weltmeister natürlich verlieren sehen.

DFB.de: Und dann schockten Sie den Enthusiasmus der Brasilianer mit Ihrem Führungstor zum 1:0. Welchen Stellenwert hat dieses Tor für Sie?

Fischer: Lassen Sie mich bitte etwas ausholen. Ich bin, glaube ich, bis heute der erste Fußball-Nationalspieler aus dem Bayerischen Wald. Ich hatte immer und habe nach wie vor eine sehr starke Bindung an meine Heimat, kehre dorthin an großen Geburtstagen und Feiertagen wie Weihnachten immer wieder zurück. Die ganze Region kannte mich. Wenn dann die Nationalhymne vor dem Anpfiff gespielt wird, dann ist dir bewusst, dass dort jetzt alle vor dem Fernseher sitzen und zuschauen, dass du einer von ihnen bist. Und wenn dir dann noch gegen Brasilien im Maracanã vor 150.000 das Führungstor gelingt, dann weißt du, was daheim im Bayerischen Wald los ist.

DFB.de: Waren das Spiel und Ihr Tor im Maracanã eine Weichenstellung für Ihre Karriere?

Fischer: Auch wenn Rivelino kurz vor Schluss mit seinem Ausgleichstor den ersten Sieg einer deutschen Nationalmannschaft in Brasilien verhinderte, war diese Südamerikareise für mich mit weiteren zwei Toren danach in Mexiko zum 2:2 der Durchbruch als Nationalspieler. Fünf Tore in Buenos Aires, Rio de Janeiro und Mexico City, zehn Treffer insgesamt in den neun Partien meines ersten Länderspieljahres – danach bist du kein ganz kleines Lichtlein mehr. Das Maracanã war für uns alle der Höhepunkt im Jahr 1977. Keiner in unserem Team um die 74er-Weltmeister Sepp Maier, Rainer Bonhof und Bernd Hölzenbein hatte bis dahin jemals vor 150.000 Zuschauern gespielt.

DFB.de: Überdimensioniert präsentierte sich Ihnen das Maracanã auch fünf Jahre später bei Ihrem zweiten Länderspiel in Rio.

Fischer: Mit der größten Zuschauerkulisse in meiner Karriere. 170.000 Fans, unglaublich noch heute. Leider verloren wir 0:1, und für mich war das Spiel schon nach einer Viertelstunde wegen einer Oberschenkelverletzung zu Ende. Auf der Auswechselbank erlebte ich aber die Explosion brasilianischer Fußballleidenschaft mit, als Junior kurz vor dem Abpfiff das Siegtor erzielte. Dennoch, 170.000, welch ein Meilenstein in der Karriere.

DFB.de: Umso mehr haben Sie danach wohl den Verfall dieser Kathedrale des Fußballzaubers bedauert?

Fischer: Es war jammerschade. Das Maracanã war nach seiner Einweihung 1950 in die Jahre gekommen. Da es aber das Wahrzeichen des brasilianischen Fußballs war und ist, wurde es immer wieder renoviert und, mit deutlich geringerem Fassungsvermögen, modernisiert.

DFB.de: Vor allem zur WM 2014 und für die Olympischen Spiele 2016.

Fischer: Wo das Stadion zur Erfolgsstätte für den deutschen Fußball wurde. Erst mit dem Sieg im WM-Viertelfinale gegen Frankreich und schließlich mit dem WM-Titel im Finale gegen Argentinien, wobei sich Mario Götze mit seinem Siegtor unsterblich gemacht hat. Zwei Jahre später wurden unsere Mädels dort dann Olympiasieger.

DFB.de: Und Horst Hrubeschs Olympia-Team hat 2016 gegen Brasilien erst im Elfmeterschießen die Goldmedaille verpasst.

Fischer: Nach einem tollen Spiel mit wirklich viel Pech. Dabei hat sich einmal mehr gezeigt, dass Brasilien als Gegner das Absolute ist. Personifiziert durch Ballkünstler und Ausnahmekönner wie zu meiner Zeit mit Zico, Rivelino, Luis Pareira, Junior oder Oscar und etliche andere Kaliber. Und 2016 durch den Gold-Jungen Neymar.

DFB.de: Brasilien ist und bleibt etwas ganz Besonderes?

Fischer: Ein absoluter Gipfelpunkt in meiner Karriere. Vor allem im Maracanã. Das erleben wirklich nicht viele. Für mich waren Brasilien und das Maracanã ein Abenteuer fürs ganze Leben. Unvergessen!

[wt]

Klaus Fischer – als klassischer Mittelstürmer war er der Mann für besondere Tore. Fallrückzieher waren sein Markenzeichen. 1977 erzielte er gegen die Schweiz das Tor des Jahrhunderts, 1982 im WM-Halbfinale auf dem Weg ins Endspiel das Tor des Jahres und sechsmal das Tor des Monats. Der gelernte Glasbläser war als Torjäger ein Spezialist für spektakuläre Momente. Wie geschaffen also fürs Maracanã. Zweimal hatte er das Vergnügen, in diesem Tempel des Fußballs aufzulaufen. Zu seinem heutigen 71. Geburtstag hat DFB.de mit dem 45-maligen Nationalspieler über den Fußballtempel gesprochen.

DFB.de: Welche Relevanz, welchen Stellenwert hatte das Maracanã für Ihre Fußballkarriere, Herr Fischer?

Klaus Fischer: Schon als Bub wusste ich vom Hörensagen, dass es in Rio ein Stadion gibt, das mit Platz für 200.000 Zuschauer das größte der Welt sein soll. Dort einmal zu spielen, in Brasilien und in Rio, war damals ein Traum für jeden Fußballer.

DFB.de: Für Sie ging dieser Traum gleich zweimal in Erfüllung, 1977 und 1982.

Fischer: 1977 kam ich dabei mit dem brasilianischen Fußball erstmals direkt und ganz persönlich in Kontakt. Mit Zico, mit Cerezo und mit Rivelino, einem der Weltmeister aus dem Pelé-Team von 1970, ins Maracanã einzulaufen, hätte ich mir nie erträumen lassen.

DFB.de: Sie wuchsen fernab im Bayerischen Wald auf. Welche Rolle spielten in Ihrer Kindheit Brasilien und der brasilianische Fußball für Sie?

Fischer: Ob als Bub beim SC Kreuzstraßl oder danach als Teenager beim SC Zwiesel – für mich und uns alle gab es im Fußball zu jener Zeit nichts Schöneres und Größeres als Brasilien. Brasilien war einfach das Nonplusultra, das Absolute. Ballzauber und totale Fußballbegeisterung.

DFB.de: Wie hat sich dies Ihnen im Bayerischen Wald vermittelt?

Fischer: Der WM-Gewinn 1958 in Schweden über Fotos und Zeitungslektüre mit dem 17-jährigen Pelé als große Nummer. 1962 haben wir uns daheim dann zur WM in Chile erstmals einen Fernseher gekauft. Didi, Vava, Pelé wurden auch auf dem Bolzplatz immer festere Größen mit Nachahmungseffekt bei den Kindern. Garrincha, der Dribbelkönig, welch ein Rechtsaußen! Brasilien war mit seiner Fußballkunst das totale Spektakel – und ist es für viele ganz sicher auch heute noch.

DFB.de: Fußball als großes Spektakel – dafür sorgten auch Sie als Torjäger mit einer Vielzahl ganz besonderer Treffer wie Ihrem Fallrückzieher-Jahrhunderttor 1977 gegen die Schweiz oder viele andere fantastische Volltreffer. Klaus Fischer, der Brasilianer aus Zwiesel?

Fischer: So kann man das nicht sagen. (lacht) Weil ich ein anderer Typ als diese brasilianischen Mittelstürmer war. Die waren spielende Angriffskünstler, nicht so kopfballstark, aber technisch perfekt, unheimlich beweglich und geschmeidig, manchmal aber auch zu verspielt. Wir waren reine Torjäger. Wuchtig und kopfballstark und völlig auf den Torerfolg fixiert. Uwe Seeler, mein großes Vorbild, Gerd Müller, Horst Hrubesch oder die zudem noch pfeilschnellen Rudi Völler oder Jürgen Klinsmann. Deutschland war eigentlich immer ein Land der Mittelstürmer. Und wird es nach dem Rücktritt von Miro Klose hoffentlich bald wieder werden. Eher hatten wir Außenstürmer, die mit ihrem Trickreichtum Garrincha etwas näherkamen. Stan Libuda, Rüdiger Abramczik, Jürgen Grabowski oder Pierre Littbarski fallen mir im Rückblick auf die Schnelle ein. Mit Leroy Sané und Serge Gnabry sieht es dort heute wieder etwas vielversprechender aus.

DFB.de: Zurück zum Maracanã. Wann tauchte dieser Name erstmals in Ihrer Vorstellungswelt als Fußballer auf?

Fischer: Wann genau, daran kann ich mich nicht mehr erinnern. Ich wusste als Jugendspieler, dass am anderen Ende der Welt eine riesige Schüssel steht, die größte Arena der Welt. 17 war ich damals und hatte vor allem den Traum, unbedingt in der Bundesliga zu landen. Meine damalige Freundin, meine heutige Frau, kann Ihnen aber bestätigen, dass es damals auch mein Traum war, mal in Rio in diesem Riesenstadion zu spielen. Sie hat es zwar damals nicht geglaubt, doch es kam tatsächlich zustande.

DFB.de: Mit 17 spielten Sie für den SC Zwiesel noch in der Bezirksklasse. Elf Jahre später dann wahrhaftig im Maracanã. Wie erlebten Sie diesen Quantensprung?

Fischer: Wir haben in Zwiesel damals in der vierthöchsten Bezirksklasse schon vor 5000 Zuschauern gespielt, in einem Städtchen mit 10.000 Einwohnern. 32 Tore habe ich dort in meiner letzten Saison erzielt, bin dann nach einem Probetraining in Mönchengladbach – mit Günter Netzer, Jupp Heynckes oder Berti Vogts – bei 1860 München und ihren damaligen Stars um Peter Grosser und Petar Radenkovic in der Bundesliga angekommen. Das heißt, ich wurde langsam hingeführt an die Ausmaße des Maracanã. Dennoch: Der erste Eindruck im Juni 1977 war in jeder Hinsicht überwältigend. Dreimal so groß wie unser Schalker Parkstadion mit seinen 70.000 Plätzen, wo ich inzwischen gespielt habe. In der Bundesliga gab es nach der WM 1974 schon viele große und moderne Stadien. Doch das Maracanã und die Fußballbegeisterung in seinem Inneren übertrafen alles, was ich bis dahin erlebt hatte, bei Weitem.

DFB.de: Wie groß war Ihre Ehrfurcht, als Sie dieses Stadion, in dem Garrincha zuvor in seinem Abschiedsspiel von 140.000 Zuschauern gefeiert wurde, am 12. Juni 1977 zu Ihrem erst fünften Länderspiel betraten?

Fischer: Angst hatte ich nie, vor nichts und niemandem. Zumal ich ein paar Tage vorher in Buenos Aires zwei Tore zu unserem 3:1 gegen Argentinien erzielt hatte. Dennoch flößten mir die Ausmaße des Maracanã großen Respekt ein. In den riesigen Umkleidesälen, wo für jeden Spieler eine eigene Massagebank zur Verfügung stand, konnte man sich verlaufen und Fünf gegen Zwei spielen. Und auf dem Spielfeld konnten wir uns gar nicht richtig aufwärmen, weil überall Fernseh- und Rundfunkreporter rumrannten, die die brasilianischen Stars interviewten. 150.000 Fans in diesem riesigen Kessel wollten uns als amtierenden Weltmeister natürlich verlieren sehen.

DFB.de: Und dann schockten Sie den Enthusiasmus der Brasilianer mit Ihrem Führungstor zum 1:0. Welchen Stellenwert hat dieses Tor für Sie?

Fischer: Lassen Sie mich bitte etwas ausholen. Ich bin, glaube ich, bis heute der erste Fußball-Nationalspieler aus dem Bayerischen Wald. Ich hatte immer und habe nach wie vor eine sehr starke Bindung an meine Heimat, kehre dorthin an großen Geburtstagen und Feiertagen wie Weihnachten immer wieder zurück. Die ganze Region kannte mich. Wenn dann die Nationalhymne vor dem Anpfiff gespielt wird, dann ist dir bewusst, dass dort jetzt alle vor dem Fernseher sitzen und zuschauen, dass du einer von ihnen bist. Und wenn dir dann noch gegen Brasilien im Maracanã vor 150.000 das Führungstor gelingt, dann weißt du, was daheim im Bayerischen Wald los ist.

DFB.de: Waren das Spiel und Ihr Tor im Maracanã eine Weichenstellung für Ihre Karriere?

Fischer: Auch wenn Rivelino kurz vor Schluss mit seinem Ausgleichstor den ersten Sieg einer deutschen Nationalmannschaft in Brasilien verhinderte, war diese Südamerikareise für mich mit weiteren zwei Toren danach in Mexiko zum 2:2 der Durchbruch als Nationalspieler. Fünf Tore in Buenos Aires, Rio de Janeiro und Mexico City, zehn Treffer insgesamt in den neun Partien meines ersten Länderspieljahres – danach bist du kein ganz kleines Lichtlein mehr. Das Maracanã war für uns alle der Höhepunkt im Jahr 1977. Keiner in unserem Team um die 74er-Weltmeister Sepp Maier, Rainer Bonhof und Bernd Hölzenbein hatte bis dahin jemals vor 150.000 Zuschauern gespielt.

DFB.de: Überdimensioniert präsentierte sich Ihnen das Maracanã auch fünf Jahre später bei Ihrem zweiten Länderspiel in Rio.

Fischer: Mit der größten Zuschauerkulisse in meiner Karriere. 170.000 Fans, unglaublich noch heute. Leider verloren wir 0:1, und für mich war das Spiel schon nach einer Viertelstunde wegen einer Oberschenkelverletzung zu Ende. Auf der Auswechselbank erlebte ich aber die Explosion brasilianischer Fußballleidenschaft mit, als Junior kurz vor dem Abpfiff das Siegtor erzielte. Dennoch, 170.000, welch ein Meilenstein in der Karriere.

DFB.de: Umso mehr haben Sie danach wohl den Verfall dieser Kathedrale des Fußballzaubers bedauert?

Fischer: Es war jammerschade. Das Maracanã war nach seiner Einweihung 1950 in die Jahre gekommen. Da es aber das Wahrzeichen des brasilianischen Fußballs war und ist, wurde es immer wieder renoviert und, mit deutlich geringerem Fassungsvermögen, modernisiert.

DFB.de: Vor allem zur WM 2014 und für die Olympischen Spiele 2016.

Fischer: Wo das Stadion zur Erfolgsstätte für den deutschen Fußball wurde. Erst mit dem Sieg im WM-Viertelfinale gegen Frankreich und schließlich mit dem WM-Titel im Finale gegen Argentinien, wobei sich Mario Götze mit seinem Siegtor unsterblich gemacht hat. Zwei Jahre später wurden unsere Mädels dort dann Olympiasieger.

DFB.de: Und Horst Hrubeschs Olympia-Team hat 2016 gegen Brasilien erst im Elfmeterschießen die Goldmedaille verpasst.

Fischer: Nach einem tollen Spiel mit wirklich viel Pech. Dabei hat sich einmal mehr gezeigt, dass Brasilien als Gegner das Absolute ist. Personifiziert durch Ballkünstler und Ausnahmekönner wie zu meiner Zeit mit Zico, Rivelino, Luis Pareira, Junior oder Oscar und etliche andere Kaliber. Und 2016 durch den Gold-Jungen Neymar.

DFB.de: Brasilien ist und bleibt etwas ganz Besonderes?

Fischer: Ein absoluter Gipfelpunkt in meiner Karriere. Vor allem im Maracanã. Das erleben wirklich nicht viele. Für mich waren Brasilien und das Maracanã ein Abenteuer fürs ganze Leben. Unvergessen!

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