Fallrückzieherspezialist Fischer: "Manches kannst du nicht lernen"

Für Klaus Fischer ist es nichts Besonderes, dass er seine Tore nicht unmittelbar sehen konnte. Seine weltberühmte Spezialität war der Fallrückzieher, obwohl es am Ende einer langen Karriere nur vier waren, die auch zu Toren führten. So spektakulär sie waren, hatten sie den Nachteil, dass sie sich im Rücken des in der Luft schwebenden Schützen abspielten. Den Einschlag des Balls konnte er sich dann immer erst hinterher im Fernsehen anschauen.

Sein vermutlich letztes Tor wird Fischer wohl nie sehen, denn da lief nicht mal eine Kamera. Es war im vergangenen August, denn auch mit 69 Jahren konnte er es nicht lassen, für die Schalker Traditionself aufzulaufen. Während er ein Zuspiel auf diesmal eher konventionelle Weise eindrückte, rannte ihn der übereifrige jugendliche Torwart der Betriebsmannschaft einer Versicherung über den Haufen. "Der hat mich einfach weggeputzt", sagt Fischer, der dabei einen schmerzhaften Schultersehnenriss erlitt und am 2. Oktober in Herne operiert werden musste. Weihnachten und sein 70. Geburtstag, den er heute feiert, fielen trotzdem nicht aus. Vorher fand Fischer Zeit fürs DFB.de-Interview mit Mitarbeiter Udo Muras.

DFB.de: Die Frage ist angesichts Ihres Pechs mehr als reine Höflichkeit. Wie geht es Ihnen, Herr Fischer?

Klaus Fischer: So weit ganz gut, nach meiner Operation muss ich jetzt Krankengymnastik machen. Das dauert eben seine Zeit. Über Weihnachten sind wir nach Zwiesel, den 70. Geburtstag feiern wir da auch im kleinen Kreis mit der Verwandtschaft in einem Lokal. Darauf hat die Verletzung keinen Einfluss.

DFB.de: Die Heimat vergessen Sie nicht, aber seit fast 50 Jahren leben sie in Gelsenkirchen. Sind Sie jetzt mehr Bayer oder Ruhrpottler?

Fischer: Auf jeden Fall bin ich ein Schalker. Schalke 04 ist mein Verein geworden und wird es immer bleiben. Ich gehe zu jedem Heimspiel, kicke für die Traditionself und bin immer da, wenn man mich ruft. (Nach dem Gespräch ging Fischer zur Essensausgabe für Arme, die das Projekt "Schalke hilft" veranstaltet; Anm. d. Red.)

DFB.de: Hier haben Sie nach dem Wechsel von 1860 München ab 1970 Ihre größten Erfolge gefeiert, wurden Nationalspieler, DFB-Pokalsieger und Bundesliga-Torschützenkönig. War es Ihre schönste Zeit?

Fischer: Ganz ehrlich: Die schönste Zeit war die, als ich als junger Bursch aus Zwiesel Bundesligaspieler geworden bin. Da fing alles an. Man setzt sich Ziele im Leben, und dann werden sie wahr - das war herrlich. Schalke war sicher die erfolgreichste Zeit.

DFB.de: Denn mit 1860 stiegen Sie ja schon im zweiten Bundesligajahr ab…

Fischer: Ja, aber manchmal liegt es auch am Trainer. Wir sind unter Fritz Langner mit 5:19 Punkten gestartet, was willst du da noch machen? Hinten heraus haben wir noch stark aufgeholt, aber es reichte nicht mehr. Aber es war eine tolle Lehrzeit.

DFB.de: Wer für einen Absteiger 19 Tore schießt, bleibt dann trotzdem erstklassig. Hatten Sie viele Anfragen 1970?

Fischer: Einige, aber Schalke machte mir ein gutes Angebot, und so bin ich ein Schalker geworden.

DFB.de: Gleich im ersten Jahr gerieten sie in den Bundesligaskandal, weil Schalke absichtlich gegen Bielefeld 0:1 verlor. Dafür bekam jeder Spieler 2300 Mark und musste es teuer bezahlen. Sie wurden wegen Meineids verurteilt, vom DFB für ein Jahr für die Bundesliga gesperrt und wie alle verurteilten Schalker für die Nationalmannschaft bis auf Widerruf gar nicht erst berücksichtigt. Wie sehen Sie es heute?

Fischer: So wie ich es schon lange sehe. Dümmer kann man nicht sein, eigentlich muss man darüber nur noch lachen.

DFB.de:  1977 wurden Sie vom DFB begnadigt und starteten noch mit 27 ihre Länderspielkarriere, debütierten gleich mit zwei Toren gegen Nordirland und ließen im selben Jahr in Stuttgart das berühmte Tor des Jahrhunderts gegen die Schweiz folgen. Sie mussten offenbar einiges nachholen…

Fischer: Vergessen Sie die Südamerikareise 1977 nicht, da habe ich fünf der sieben deutschen Tore erzielt. Insgesamt bin ich mit meiner Bilanz von 45 Einsätzen und 32 Toren zufrieden, es war eine schöne Zeit. Aber natürlich hätte es etwas mehr sein können. Wenn man bedenkt, dass Gerd Müller (der einzige, der mehr Bundesligatore als Fischer erzielte, Anm. d. Red.) 1974 aufgehört hatte und ich schon vor dem Skandal im erweiterten Kreis war…

DFB.de: Bei Ihrer ersten WM-Teilnahme 1978 in Argentinien hatten Sie dann plötzlich Ladehemmung. Alle anderen Stürmer trafen, Dieter Müller, Karl-Heinz Rummenigge, Bernd Hölzenbein, selbst ihr Flankenlieferant Rüdiger Abramczik - nur Sie nicht.

Fischer: Ich habe auch keine Erklärung, gerade weil ich im Jahr vorher in Südamerika so viel Tore gemacht hatte. Aber es stimmte vieles nicht bei dieser WM, alle waren unzufrieden. Ich würde auch behaupten, dass nie eine deutsche Mannschaft schlechter gewohnt hat als damals in Ascochinga. Da war ja rundherum nichts.

DFB.de: Die EM 1980 verpassten Sie wegen eines Schienbeinbruchs, das war das Glück für Horst Hrubesch. 1982 in Spanien waren Sie dann zwar Konkurrenten, aber Ihr Traumtor gegen Frankreich legte er Ihnen auf. Was bedeutet Ihnen der Fallrückzieher von Sevilla angesichts ihrer mehr als 300 Tore in Pflichtspielen?

Fischer: Das war sicher das wichtigste Tor meiner Karriere, auch wenn wir dann das Finale gegen Italien verloren haben.

DFB.de: Tut die Finalniederlage noch weh, wie etwa Toni Schumacher das gelegentlich betont - oder findet man sich irgendwann damit ab?

Fischer: Es ist schon lange her, es geht. Was halt immer zu kurz kommt, sind die Umstände des Finales. Die Italiener hatten schon am Nachmittag ihr Halbfinale gespielt, wir am Abend, mussten ins Elfmeterschießen und verbrachten dann die halbe Nacht auf dem Flughafen von Sevilla - weil wir keine Starterlaubnis erhielten. Dann kamen wir frühmorgens im Hotel an. Also das war kein Vorteil für uns. Im Finale waren wir zudem 60 Minuten die tonangebende Mannschaft. Aber wenn du gegen die Italiener mal in Rückstand gerätst, ist es immer schwer.

DFB.de: Sie traten danach zurück, spielten in der Bundesliga aber noch sechs Jahre weiter - nach Schalkes Abstieg für Köln und Bochum. Sie erzielten erstaunliche 268 Treffer, jahrzehntelang waren Sie damit unangefochtener Zweiter. Haben Sie Sorge, dass Robert Lewandowski, derzeit bei 221, Sie noch einholt?

Fischer: Ich habe keine Sorgen deshalb. Wenn es normal läuft, dann kann er mich überholen. Mir war immer klar: Wenn noch einer kommt, dann spielt er für Bayern München. Wenn einer da keine Tore schießt, dann weiß ich auch nicht…

DFB.de: Sie verfolgen den Fußball sehr aufmerksam. Wer ist Ihnen nach Ihrer Karriere am nächsten gekommen, vom Typ her?

Fischer: Der Miro Klose. Der konnte auch alles, mit rechts und links, war kopfballstark. Heute haben wir ja keine Mittelstürmer mehr, also keine deutschen. Warum? Unsere Jugendlichen wollen nicht mehr Fußball spielen, die Bolzplätze sind leer. Das bedauere ich, da müssen die Vereine die Spieler besser ausbilden. Zu meiner Zeit hatte jede Mannschaft einen Mittelstürmer.

DFB.de: Aber einen, der Fallrückzieher konnte, den hatten die wenigsten.

Fischer: Ich habe mich mal mit Uwe Seeler darüber unterhalten. Wir waren uns einig: Es gibt manche Dinge, die kannst du einfach nicht lernen. Es muss halt vieles passen: Die Flanke muss kommen, und du musst den Mut dazu haben. Aber ich sage auch den Kindern in der Fußballschule immer: Tore sind das Wichtigste - egal, wie sie fallen.

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Für Klaus Fischer ist es nichts Besonderes, dass er seine Tore nicht unmittelbar sehen konnte. Seine weltberühmte Spezialität war der Fallrückzieher, obwohl es am Ende einer langen Karriere nur vier waren, die auch zu Toren führten. So spektakulär sie waren, hatten sie den Nachteil, dass sie sich im Rücken des in der Luft schwebenden Schützen abspielten. Den Einschlag des Balls konnte er sich dann immer erst hinterher im Fernsehen anschauen.

Sein vermutlich letztes Tor wird Fischer wohl nie sehen, denn da lief nicht mal eine Kamera. Es war im vergangenen August, denn auch mit 69 Jahren konnte er es nicht lassen, für die Schalker Traditionself aufzulaufen. Während er ein Zuspiel auf diesmal eher konventionelle Weise eindrückte, rannte ihn der übereifrige jugendliche Torwart der Betriebsmannschaft einer Versicherung über den Haufen. "Der hat mich einfach weggeputzt", sagt Fischer, der dabei einen schmerzhaften Schultersehnenriss erlitt und am 2. Oktober in Herne operiert werden musste. Weihnachten und sein 70. Geburtstag, den er heute feiert, fielen trotzdem nicht aus. Vorher fand Fischer Zeit fürs DFB.de-Interview mit Mitarbeiter Udo Muras.

DFB.de: Die Frage ist angesichts Ihres Pechs mehr als reine Höflichkeit. Wie geht es Ihnen, Herr Fischer?

Klaus Fischer: So weit ganz gut, nach meiner Operation muss ich jetzt Krankengymnastik machen. Das dauert eben seine Zeit. Über Weihnachten sind wir nach Zwiesel, den 70. Geburtstag feiern wir da auch im kleinen Kreis mit der Verwandtschaft in einem Lokal. Darauf hat die Verletzung keinen Einfluss.

DFB.de: Die Heimat vergessen Sie nicht, aber seit fast 50 Jahren leben sie in Gelsenkirchen. Sind Sie jetzt mehr Bayer oder Ruhrpottler?

Fischer: Auf jeden Fall bin ich ein Schalker. Schalke 04 ist mein Verein geworden und wird es immer bleiben. Ich gehe zu jedem Heimspiel, kicke für die Traditionself und bin immer da, wenn man mich ruft. (Nach dem Gespräch ging Fischer zur Essensausgabe für Arme, die das Projekt "Schalke hilft" veranstaltet; Anm. d. Red.)

DFB.de: Hier haben Sie nach dem Wechsel von 1860 München ab 1970 Ihre größten Erfolge gefeiert, wurden Nationalspieler, DFB-Pokalsieger und Bundesliga-Torschützenkönig. War es Ihre schönste Zeit?

Fischer: Ganz ehrlich: Die schönste Zeit war die, als ich als junger Bursch aus Zwiesel Bundesligaspieler geworden bin. Da fing alles an. Man setzt sich Ziele im Leben, und dann werden sie wahr - das war herrlich. Schalke war sicher die erfolgreichste Zeit.

DFB.de: Denn mit 1860 stiegen Sie ja schon im zweiten Bundesligajahr ab…

Fischer: Ja, aber manchmal liegt es auch am Trainer. Wir sind unter Fritz Langner mit 5:19 Punkten gestartet, was willst du da noch machen? Hinten heraus haben wir noch stark aufgeholt, aber es reichte nicht mehr. Aber es war eine tolle Lehrzeit.

DFB.de: Wer für einen Absteiger 19 Tore schießt, bleibt dann trotzdem erstklassig. Hatten Sie viele Anfragen 1970?

Fischer: Einige, aber Schalke machte mir ein gutes Angebot, und so bin ich ein Schalker geworden.

DFB.de: Gleich im ersten Jahr gerieten sie in den Bundesligaskandal, weil Schalke absichtlich gegen Bielefeld 0:1 verlor. Dafür bekam jeder Spieler 2300 Mark und musste es teuer bezahlen. Sie wurden wegen Meineids verurteilt, vom DFB für ein Jahr für die Bundesliga gesperrt und wie alle verurteilten Schalker für die Nationalmannschaft bis auf Widerruf gar nicht erst berücksichtigt. Wie sehen Sie es heute?

Fischer: So wie ich es schon lange sehe. Dümmer kann man nicht sein, eigentlich muss man darüber nur noch lachen.

DFB.de:  1977 wurden Sie vom DFB begnadigt und starteten noch mit 27 ihre Länderspielkarriere, debütierten gleich mit zwei Toren gegen Nordirland und ließen im selben Jahr in Stuttgart das berühmte Tor des Jahrhunderts gegen die Schweiz folgen. Sie mussten offenbar einiges nachholen…

Fischer: Vergessen Sie die Südamerikareise 1977 nicht, da habe ich fünf der sieben deutschen Tore erzielt. Insgesamt bin ich mit meiner Bilanz von 45 Einsätzen und 32 Toren zufrieden, es war eine schöne Zeit. Aber natürlich hätte es etwas mehr sein können. Wenn man bedenkt, dass Gerd Müller (der einzige, der mehr Bundesligatore als Fischer erzielte, Anm. d. Red.) 1974 aufgehört hatte und ich schon vor dem Skandal im erweiterten Kreis war…

DFB.de: Bei Ihrer ersten WM-Teilnahme 1978 in Argentinien hatten Sie dann plötzlich Ladehemmung. Alle anderen Stürmer trafen, Dieter Müller, Karl-Heinz Rummenigge, Bernd Hölzenbein, selbst ihr Flankenlieferant Rüdiger Abramczik - nur Sie nicht.

Fischer: Ich habe auch keine Erklärung, gerade weil ich im Jahr vorher in Südamerika so viel Tore gemacht hatte. Aber es stimmte vieles nicht bei dieser WM, alle waren unzufrieden. Ich würde auch behaupten, dass nie eine deutsche Mannschaft schlechter gewohnt hat als damals in Ascochinga. Da war ja rundherum nichts.

DFB.de: Die EM 1980 verpassten Sie wegen eines Schienbeinbruchs, das war das Glück für Horst Hrubesch. 1982 in Spanien waren Sie dann zwar Konkurrenten, aber Ihr Traumtor gegen Frankreich legte er Ihnen auf. Was bedeutet Ihnen der Fallrückzieher von Sevilla angesichts ihrer mehr als 300 Tore in Pflichtspielen?

Fischer: Das war sicher das wichtigste Tor meiner Karriere, auch wenn wir dann das Finale gegen Italien verloren haben.

DFB.de: Tut die Finalniederlage noch weh, wie etwa Toni Schumacher das gelegentlich betont - oder findet man sich irgendwann damit ab?

Fischer: Es ist schon lange her, es geht. Was halt immer zu kurz kommt, sind die Umstände des Finales. Die Italiener hatten schon am Nachmittag ihr Halbfinale gespielt, wir am Abend, mussten ins Elfmeterschießen und verbrachten dann die halbe Nacht auf dem Flughafen von Sevilla - weil wir keine Starterlaubnis erhielten. Dann kamen wir frühmorgens im Hotel an. Also das war kein Vorteil für uns. Im Finale waren wir zudem 60 Minuten die tonangebende Mannschaft. Aber wenn du gegen die Italiener mal in Rückstand gerätst, ist es immer schwer.

DFB.de: Sie traten danach zurück, spielten in der Bundesliga aber noch sechs Jahre weiter - nach Schalkes Abstieg für Köln und Bochum. Sie erzielten erstaunliche 268 Treffer, jahrzehntelang waren Sie damit unangefochtener Zweiter. Haben Sie Sorge, dass Robert Lewandowski, derzeit bei 221, Sie noch einholt?

Fischer: Ich habe keine Sorgen deshalb. Wenn es normal läuft, dann kann er mich überholen. Mir war immer klar: Wenn noch einer kommt, dann spielt er für Bayern München. Wenn einer da keine Tore schießt, dann weiß ich auch nicht…

DFB.de: Sie verfolgen den Fußball sehr aufmerksam. Wer ist Ihnen nach Ihrer Karriere am nächsten gekommen, vom Typ her?

Fischer: Der Miro Klose. Der konnte auch alles, mit rechts und links, war kopfballstark. Heute haben wir ja keine Mittelstürmer mehr, also keine deutschen. Warum? Unsere Jugendlichen wollen nicht mehr Fußball spielen, die Bolzplätze sind leer. Das bedauere ich, da müssen die Vereine die Spieler besser ausbilden. Zu meiner Zeit hatte jede Mannschaft einen Mittelstürmer.

DFB.de: Aber einen, der Fallrückzieher konnte, den hatten die wenigsten.

Fischer: Ich habe mich mal mit Uwe Seeler darüber unterhalten. Wir waren uns einig: Es gibt manche Dinge, die kannst du einfach nicht lernen. Es muss halt vieles passen: Die Flanke muss kommen, und du musst den Mut dazu haben. Aber ich sage auch den Kindern in der Fußballschule immer: Tore sind das Wichtigste - egal, wie sie fallen.

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