Christoph Ziegler: 48 Stunden für ein Spiel

Christoph Ziegler sitzt zusammengekrümmt im Gang des Zugs Ćœ3267 nach Novosibirsk. Immer wieder fallen ihm die Augen zu. Bei gefühlten 40 Grad stehen ihm die Schweißperlen auf der Stirn. Der Magen knurrt. Neben ihm öffnet sich die Tür zur Bordtoilette und ein beißender Geruch zieht durch den Flur, der ihm immer noch angenehmer vorkommt als der Duft aus seinem Abteil, das er kurz zuvor fluchtartig verlassen hatte.

Es ist sechs Uhr in der Früh und außer dem Geklacker der Zugschienen nimmt Christoph kaum Geräusche war. Beim Blick aus dem Fenster zieht die karge russische Steppe an ihm vorbei. Irgendwo zwischen Saransk und Kasan muss er sein. Unzählige Zwischenstopps in Orten mit Namen, die sich ausschließlich aus Konsonanten zusammensetzen, liegen hinter ihm. Mit rund 60 Kilometern die Stunde tuckert der Zug unaufhörlich weiter.

Der Countdown auf seiner Uhr verrät: noch acht Stunden. Noch acht Stunden bis es wieder etwas Vernünftiges zu essen gibt. Noch acht Stunden bis er sich endlich wieder duschen kann. Noch acht Stunden bis Kasan – einem Ort mit Vokalen. Christophs Endstation. Dann hat die 48-stündige Tortur ein Ende.

Euphorisierter Start

40 Stunden zuvor war sich das damals 31 Jahre alte Mitglied im Fan Club Nationalmannschaft noch nicht darüber im Klaren, auf was er sich da eingelassen hatte. Nach einer durchzechten Party-Nacht in Sotschi - der Last-Minute-Sieg gegen Schweden musste ausgelassen gefeiert werden – stieg Christoph mit seinen drei Kumpels Bastian, David und Kevin in das geschätzt acht fußballfeldlange Ungetüm. Hundemüde, mit schwerem Kopf, aber einem Lächeln im Gesicht. Die Euphorie vom Sieg am Vorabend hielt immer noch an.

In Windeseile kauften die Deutschland-Fans einen nahgelegenen Kiosk leer. Die Ausbeute erinnerte eher an ein Kindergeburtstags-Buffet. Garniert wurden die Chips, Nüsschen und Kekse mit Brot, dessen Verfallsdatum bereits drei Wochen überschritten war. Aber besser als nichts, dachten sie sich.

Mit vier großen Koffern und ihrem frisch erbeuteten Proviant betraten die Freunde ein circa vier quadratmeterkleines Abteil, das für die kommenden 48 Stunden ihr Zuhause sein sollte. Ein Blick auf die klapprige und eingestaubte Klimaanlage verriet, dass hier schon seit vielen tausenden Kilometern keine kühle Luft mehr durch den Raum geweht sein konnte.

Auch das Fenster musste geschlossen bleiben. Das hatte ihnen der strenge und etwas finster dreinblickende Schaffner so unmissverständlich klar gemacht, dass ihnen selbst ohne Russischkenntnisse klar wurde, in den kommenden 48 Stunden auf frischen Sauerstoff verzichten zu müssen.

"Erlebnis für die Ewigkeit"

Trotz unzähliger Gedankenspiele beim nächsten Zwischenstopp auszusteigen und doch den Flieger zu nehmen, zogen die Deutschland-Fans ihre Abenteuerreise zum Südkorea-Spiel durch. Auch wenn ihr zweiwöchiger Aufenthalt in Russland aus sportlicher Sicht ernüchternd ausfiel, blicken sie gerne auf die Zeit zurück. "Das war ein Erlebnis für die Ewigkeit", sagt Christoph und lacht.

Bei der Europameisterschaft 2020 möchte er natürlich wieder live und vor Ort dabei sein – wie bei jedem Turnier seit 2006. "Ich brauche dieses Gefühl einfach", so der Fan vom Niederrhein, "neue Leute, neue Nationen, neue Kulturen, das ist ein Teil meines Lebens geworden."

Über 500 Fußballspiele in 37 verschiedenen Ländern hat Christoph besucht - 108 davon waren mit Beteiligung der deutschen Nationalmannschaft. 267.962 Kilometer hat er dabei zurückgelegt oder anders gesagt: fast sieben Mal die Erde umrundet. Und noch ist kein Ende in Sicht. Christoph möchte noch viele neue Abenteuer mit der Nationalmannschaft erleben. Wenn es sein muss, auch gerne wieder im Zug.

[jh]

Christoph Ziegler sitzt zusammengekrümmt im Gang des Zugs Ćœ3267 nach Novosibirsk. Immer wieder fallen ihm die Augen zu. Bei gefühlten 40 Grad stehen ihm die Schweißperlen auf der Stirn. Der Magen knurrt. Neben ihm öffnet sich die Tür zur Bordtoilette und ein beißender Geruch zieht durch den Flur, der ihm immer noch angenehmer vorkommt als der Duft aus seinem Abteil, das er kurz zuvor fluchtartig verlassen hatte.

Es ist sechs Uhr in der Früh und außer dem Geklacker der Zugschienen nimmt Christoph kaum Geräusche war. Beim Blick aus dem Fenster zieht die karge russische Steppe an ihm vorbei. Irgendwo zwischen Saransk und Kasan muss er sein. Unzählige Zwischenstopps in Orten mit Namen, die sich ausschließlich aus Konsonanten zusammensetzen, liegen hinter ihm. Mit rund 60 Kilometern die Stunde tuckert der Zug unaufhörlich weiter.

Der Countdown auf seiner Uhr verrät: noch acht Stunden. Noch acht Stunden bis es wieder etwas Vernünftiges zu essen gibt. Noch acht Stunden bis er sich endlich wieder duschen kann. Noch acht Stunden bis Kasan – einem Ort mit Vokalen. Christophs Endstation. Dann hat die 48-stündige Tortur ein Ende.

Euphorisierter Start

40 Stunden zuvor war sich das damals 31 Jahre alte Mitglied im Fan Club Nationalmannschaft noch nicht darüber im Klaren, auf was er sich da eingelassen hatte. Nach einer durchzechten Party-Nacht in Sotschi - der Last-Minute-Sieg gegen Schweden musste ausgelassen gefeiert werden – stieg Christoph mit seinen drei Kumpels Bastian, David und Kevin in das geschätzt acht fußballfeldlange Ungetüm. Hundemüde, mit schwerem Kopf, aber einem Lächeln im Gesicht. Die Euphorie vom Sieg am Vorabend hielt immer noch an.

In Windeseile kauften die Deutschland-Fans einen nahgelegenen Kiosk leer. Die Ausbeute erinnerte eher an ein Kindergeburtstags-Buffet. Garniert wurden die Chips, Nüsschen und Kekse mit Brot, dessen Verfallsdatum bereits drei Wochen überschritten war. Aber besser als nichts, dachten sie sich.

Mit vier großen Koffern und ihrem frisch erbeuteten Proviant betraten die Freunde ein circa vier quadratmeterkleines Abteil, das für die kommenden 48 Stunden ihr Zuhause sein sollte. Ein Blick auf die klapprige und eingestaubte Klimaanlage verriet, dass hier schon seit vielen tausenden Kilometern keine kühle Luft mehr durch den Raum geweht sein konnte.

Auch das Fenster musste geschlossen bleiben. Das hatte ihnen der strenge und etwas finster dreinblickende Schaffner so unmissverständlich klar gemacht, dass ihnen selbst ohne Russischkenntnisse klar wurde, in den kommenden 48 Stunden auf frischen Sauerstoff verzichten zu müssen.

"Erlebnis für die Ewigkeit"

Trotz unzähliger Gedankenspiele beim nächsten Zwischenstopp auszusteigen und doch den Flieger zu nehmen, zogen die Deutschland-Fans ihre Abenteuerreise zum Südkorea-Spiel durch. Auch wenn ihr zweiwöchiger Aufenthalt in Russland aus sportlicher Sicht ernüchternd ausfiel, blicken sie gerne auf die Zeit zurück. "Das war ein Erlebnis für die Ewigkeit", sagt Christoph und lacht.

Bei der Europameisterschaft 2020 möchte er natürlich wieder live und vor Ort dabei sein – wie bei jedem Turnier seit 2006. "Ich brauche dieses Gefühl einfach", so der Fan vom Niederrhein, "neue Leute, neue Nationen, neue Kulturen, das ist ein Teil meines Lebens geworden."

Über 500 Fußballspiele in 37 verschiedenen Ländern hat Christoph besucht - 108 davon waren mit Beteiligung der deutschen Nationalmannschaft. 267.962 Kilometer hat er dabei zurückgelegt oder anders gesagt: fast sieben Mal die Erde umrundet. Und noch ist kein Ende in Sicht. Christoph möchte noch viele neue Abenteuer mit der Nationalmannschaft erleben. Wenn es sein muss, auch gerne wieder im Zug.

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