Boateng: "Wir können ein Vorbild für das Land sein"

Jerome Boateng hat bei der Europameisterschaft so manchem prominenten Gegenspieler das Leben schwer gemacht. Die Geschichte des 23-Jährigen ist aber nicht nur die eines erfolgreichen Fußballers, sondern auch eine über den Alltag von Migranten in Deutschland. Und nicht zuletzt zeigt sie, wie Integration spielend gelingen kann.

DFB.de:Herr Boateng, wie ging es Ihnen nach dem Ausscheiden im EM-Halbfinale?

Boateng: Wie zu erwarten, nicht sonderlich gut. Diese Niederlage gegen Italien trägt man ein Leben lang mit sich rum. Ich brauche Zeit, um das alles zu verarbeiten. Es ist gut, dass wir alle in den Urlaub gehen konnten, um erstmal den Kopf frei zu bekommen.

DFB.de Bei aller Enttäuschung über das Ausscheiden: Auch in Polen und der Ukraine haben Sie gezeigt, wie wichtig Sie für die Mannschaft sind.

Boateng: Danke für das Kompliment. Sicher habe ich ein wenig Talent mitgegeben bekommen, aber dahinter steckt auch viel Arbeit. Keiner wäre bei dieser Nationalmannschaft, wenn er nicht wüsste, wie man sich quält und das Letzte aus dem Körper rausholt. Ich arbeite hart an meiner Athletik. Den Sommer 2011 habe ich in den USA bei Shad Forsythe verbracht, der uns bei der Nationalmannschaft schon seit Jahren als Fitnesstrainer begleitet. Diese Wochen bei Shad waren unglaublich hart, haben aber auch riesigen Spaß gemacht und mir sehr viel gebracht.

DFB.de: Wir wollen an dieser Stelle nicht nur über Tore, Punkte und Leistungen reden. Sieben von 23 Spielern des Nationalteams 2012 haben einen Migrationshintergrund. Beim letzten EM-Gewinn 1996 waren es gerade mal zwei Spieler, nämlich Mehmet Scholl und Fredi Bobic. Was bedeutet diese Entwicklung?

Boateng: Ich denke, dass Mesut Özil einfach sehr, sehr wichtig ist für unsere Mannschaft. Er ist ein 10er, der unser Spiel kreativ macht. Dazu hat er auch gerade bei diesem Turnier immer wieder konsequent gegen den Ball gearbeitet. Ich verrate da ja keine Geheimnisse. Um ihn beneidet uns so ziemlich jede andere Nationalmannschaft. Und auch Sami Khedira wird bei uns immer mehr zu einem Schlüsselspieler. Es wäre aber völlig falsch, wenn ich behaupten würde, gerade diese anderen kulturellen Hintergründe machten uns stark. Philipp Lahm, Manuel Neuer oder Bastian Schweinsteiger sind mindestens genauso wichtig für unser Spiel. Dennoch denke ich schon, dass wir Spieler mit Migrationshintergrund in den vergangenen Jahren dazu beigetragen haben, dass unser Spiel etwas leichtfüßiger und eleganter wurde, dass zur deutschen Disziplin jetzt auch noch etwas mehr Technik und Leidenschaft gekommen ist. Das hat uns vorangebracht.

DFB.de: Ihre Fußballschule war ein Asphaltplatz an der Panke, ein sogenannter Käfig an einem kleinen Fluß in Berlin-Wedding.

Boateng: Das war riesig für mich: Der Asphaltplatz, das stundenlange Spiel, manchmal haben wir sogar Lampen aufgestellt, damit wir, wenn es langsam Nacht wurde, noch weiterkicken konnten. Der Platz an der Panke war auch hart. Viele Jugendliche kamen aus sozialen Brennpunkten. Da ist es manchmal richtig zur Sache gegangen. Die Jungs haben ihren Frust von der Schule rausgehauen, da musste ich voll dagegenhalten. Wichtig war dann für meine fußballerische Entwicklung, dass ich mich immer wieder auf meine spielerischen Mittel konzentriert habe.

DFB.de: George und Kevin Boateng sind beide älter. Als kleiner Bruder …

Boateng: ... muss man sich ohnehin immer wieder durchbeißen – genau.

DFB.de: Nach Berlin, Hamburg, Manchester wohnen Sie heute in München. Wie gefällt Ihnen die bayerische Lebensart?

Boateng: Ich lebe im Stadtteil Bogenhausen, ich kann nicht klagen. München ist eine sehr schöne Stadt, wenn auch etwas kleiner als Berlin. Vor allem aber spiele ich dort für einen super Verein.

DFB.de: Und das jährliche Lederhosenfoto?

Boateng: (lacht) Na ja, daran muss ich mich erst noch gewöhnen.

DFB.de: Ihr Vater stammt aus Ghana. Waren Sie selbst schon mal dort?

Boateng: Bis heute leider nicht. Vor ein paar Jahren hatte ich bereits alles geplant, aber dann wurde ich in den Profikader von Hertha BSC aufgenommen und musste die Afrikareise absagen. Rund 20 Verwandte leben dort, mein Vater erzählt mir häufig von Ghana.

DFB.de: Sie haben mal gesagt: "Wenn es positiv läuft, dann sagt man: 'Das sind Deutsche'. Aber wenn etwas Schlechtes passiert, sieht man plötzlich die andere Seite. Dann sind wir wieder Ausländer". Wie sehr fühlen Sie sich mittlerweile von den Fans der Nationalmannschaft geschätzt?

Boateng: Genauso ist es doch. Es schlägt viel zu schnell um. Alle klopfen einem auf die Schulter, aber wenn dann mal etwas schiefläuft, etwa eine Rote Karte, dann heißt es gleich wieder: Na klar, der ist doch ein Afrikaner, der ist einfach nicht diszipliniert genug. Das ist nicht fair, sondern einfach nur oberflächlich. Aber dann mache ich mir klar, dass das nur wenige Menschen sind, die Mehrheit der Fans denkt anders.

DFB.de: Die DFB-Auswahl hat sich in den vergangenen Jahren Sympathien erarbeitet. Für viele Menschen in Deutschland sind Sie gerade während eines großen Turniers ein Hoffnungsträger. Spüren Sie das?

Boateng: So viel haben wir während des Turniers gar nicht mitbekommen. Manchmal haben wir die Bilder im deutschen Fernsehen gesehen, oder unsere Videoleute haben Fanbilder für ein Teammeeting zusammengeschnitten. Besonders gefallen haben mir dann die Bilder aus Berlin. Ich repräsentiere diese Stadt, so empfinde ich es bis heute. Da bin ich wirklich sehr stolz drauf. Dem will ich auch gerecht werden.

DFB.de: Warum singen Sie nicht mit bei der Nationalhymne?

Boateng: Weil das schon immer mein Ritual war, weil ich bete und mich dann in dieser Phase einfach auf mein Spiel konzentriere. Ich antizipiere, was gleich passieren wird. Das habe ich schon in allen Jugendmannschaften gemacht, so wurden wir mit der deutschen U 21-Nationalmannschaft Europameister. Ich werde mein Verhalten unmittelbar vor dem Anstoß auch nicht ändern. Übrigens bete nicht nur ich direkt vor dem Spiel, manche sind Christen, Mesut ist ein Muslim. Wir sind nun mal alle unterschiedliche Menschen, aber wir haben in unserem Team ein sportliches Ziel. Außerdem sind wir in Deutschland groß geworden und bekennen uns zu diesem Land.

DFB.de: Bundeskanzlerin Angela Merkel sagt, der Fußball sei ein Integrationsmotor. Stimmen Sie zu?

Boateng: Auf jeden Fall, davon bin ich fest überzeugt und das habe ich selbst erfahren. Miteinander Fußball zu spielen, bringt die Leute zusammen, nicht nur bei uns in der Nationalmannschaft, sondern vor allem an der Basis, bei den Kindern, Jugendlichen und den Amateuren. In Deutschland gibt es heute viele positive Beispiele, wo Integration sehr gut gelungen ist. Dabei ist die Sprache entscheidend, weshalb ich mich vor einiger Zeit in der Kampagne "Rein ins Leben, raus mit der Sprache" engagiert habe. Mesut und Sami und vielleicht auch ich haben eine Vorbildrolle. Wir beweisen, dass man mit besonderen Leistungen viel erreichen kann. Und umgekehrt fühle ich mich geachtet und geschätzt von den Fans. Wir als Nationalmannschaft können ein Vorbild für das ganze Land sein – und sind es mittlerweile auch.

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Jerome Boateng hat bei der Europameisterschaft so manchem prominenten Gegenspieler das Leben schwer gemacht. Die Geschichte des 23-Jährigen ist aber nicht nur die eines erfolgreichen Fußballers, sondern auch eine über den Alltag von Migranten in Deutschland. Und nicht zuletzt zeigt sie, wie Integration spielend gelingen kann.

DFB.de:Herr Boateng, wie ging es Ihnen nach dem Ausscheiden im EM-Halbfinale?

Boateng: Wie zu erwarten, nicht sonderlich gut. Diese Niederlage gegen Italien trägt man ein Leben lang mit sich rum. Ich brauche Zeit, um das alles zu verarbeiten. Es ist gut, dass wir alle in den Urlaub gehen konnten, um erstmal den Kopf frei zu bekommen.

DFB.de Bei aller Enttäuschung über das Ausscheiden: Auch in Polen und der Ukraine haben Sie gezeigt, wie wichtig Sie für die Mannschaft sind.

Boateng: Danke für das Kompliment. Sicher habe ich ein wenig Talent mitgegeben bekommen, aber dahinter steckt auch viel Arbeit. Keiner wäre bei dieser Nationalmannschaft, wenn er nicht wüsste, wie man sich quält und das Letzte aus dem Körper rausholt. Ich arbeite hart an meiner Athletik. Den Sommer 2011 habe ich in den USA bei Shad Forsythe verbracht, der uns bei der Nationalmannschaft schon seit Jahren als Fitnesstrainer begleitet. Diese Wochen bei Shad waren unglaublich hart, haben aber auch riesigen Spaß gemacht und mir sehr viel gebracht.

DFB.de: Wir wollen an dieser Stelle nicht nur über Tore, Punkte und Leistungen reden. Sieben von 23 Spielern des Nationalteams 2012 haben einen Migrationshintergrund. Beim letzten EM-Gewinn 1996 waren es gerade mal zwei Spieler, nämlich Mehmet Scholl und Fredi Bobic. Was bedeutet diese Entwicklung?

Boateng: Ich denke, dass Mesut Özil einfach sehr, sehr wichtig ist für unsere Mannschaft. Er ist ein 10er, der unser Spiel kreativ macht. Dazu hat er auch gerade bei diesem Turnier immer wieder konsequent gegen den Ball gearbeitet. Ich verrate da ja keine Geheimnisse. Um ihn beneidet uns so ziemlich jede andere Nationalmannschaft. Und auch Sami Khedira wird bei uns immer mehr zu einem Schlüsselspieler. Es wäre aber völlig falsch, wenn ich behaupten würde, gerade diese anderen kulturellen Hintergründe machten uns stark. Philipp Lahm, Manuel Neuer oder Bastian Schweinsteiger sind mindestens genauso wichtig für unser Spiel. Dennoch denke ich schon, dass wir Spieler mit Migrationshintergrund in den vergangenen Jahren dazu beigetragen haben, dass unser Spiel etwas leichtfüßiger und eleganter wurde, dass zur deutschen Disziplin jetzt auch noch etwas mehr Technik und Leidenschaft gekommen ist. Das hat uns vorangebracht.

DFB.de: Ihre Fußballschule war ein Asphaltplatz an der Panke, ein sogenannter Käfig an einem kleinen Fluß in Berlin-Wedding.

Boateng: Das war riesig für mich: Der Asphaltplatz, das stundenlange Spiel, manchmal haben wir sogar Lampen aufgestellt, damit wir, wenn es langsam Nacht wurde, noch weiterkicken konnten. Der Platz an der Panke war auch hart. Viele Jugendliche kamen aus sozialen Brennpunkten. Da ist es manchmal richtig zur Sache gegangen. Die Jungs haben ihren Frust von der Schule rausgehauen, da musste ich voll dagegenhalten. Wichtig war dann für meine fußballerische Entwicklung, dass ich mich immer wieder auf meine spielerischen Mittel konzentriert habe.

DFB.de: George und Kevin Boateng sind beide älter. Als kleiner Bruder …

Boateng: ... muss man sich ohnehin immer wieder durchbeißen – genau.

DFB.de: Nach Berlin, Hamburg, Manchester wohnen Sie heute in München. Wie gefällt Ihnen die bayerische Lebensart?

Boateng: Ich lebe im Stadtteil Bogenhausen, ich kann nicht klagen. München ist eine sehr schöne Stadt, wenn auch etwas kleiner als Berlin. Vor allem aber spiele ich dort für einen super Verein.

DFB.de: Und das jährliche Lederhosenfoto?

Boateng: (lacht) Na ja, daran muss ich mich erst noch gewöhnen.

DFB.de: Ihr Vater stammt aus Ghana. Waren Sie selbst schon mal dort?

Boateng: Bis heute leider nicht. Vor ein paar Jahren hatte ich bereits alles geplant, aber dann wurde ich in den Profikader von Hertha BSC aufgenommen und musste die Afrikareise absagen. Rund 20 Verwandte leben dort, mein Vater erzählt mir häufig von Ghana.

DFB.de: Sie haben mal gesagt: "Wenn es positiv läuft, dann sagt man: 'Das sind Deutsche'. Aber wenn etwas Schlechtes passiert, sieht man plötzlich die andere Seite. Dann sind wir wieder Ausländer". Wie sehr fühlen Sie sich mittlerweile von den Fans der Nationalmannschaft geschätzt?

Boateng: Genauso ist es doch. Es schlägt viel zu schnell um. Alle klopfen einem auf die Schulter, aber wenn dann mal etwas schiefläuft, etwa eine Rote Karte, dann heißt es gleich wieder: Na klar, der ist doch ein Afrikaner, der ist einfach nicht diszipliniert genug. Das ist nicht fair, sondern einfach nur oberflächlich. Aber dann mache ich mir klar, dass das nur wenige Menschen sind, die Mehrheit der Fans denkt anders.

DFB.de: Die DFB-Auswahl hat sich in den vergangenen Jahren Sympathien erarbeitet. Für viele Menschen in Deutschland sind Sie gerade während eines großen Turniers ein Hoffnungsträger. Spüren Sie das?

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Boateng: So viel haben wir während des Turniers gar nicht mitbekommen. Manchmal haben wir die Bilder im deutschen Fernsehen gesehen, oder unsere Videoleute haben Fanbilder für ein Teammeeting zusammengeschnitten. Besonders gefallen haben mir dann die Bilder aus Berlin. Ich repräsentiere diese Stadt, so empfinde ich es bis heute. Da bin ich wirklich sehr stolz drauf. Dem will ich auch gerecht werden.

DFB.de: Warum singen Sie nicht mit bei der Nationalhymne?

Boateng: Weil das schon immer mein Ritual war, weil ich bete und mich dann in dieser Phase einfach auf mein Spiel konzentriere. Ich antizipiere, was gleich passieren wird. Das habe ich schon in allen Jugendmannschaften gemacht, so wurden wir mit der deutschen U 21-Nationalmannschaft Europameister. Ich werde mein Verhalten unmittelbar vor dem Anstoß auch nicht ändern. Übrigens bete nicht nur ich direkt vor dem Spiel, manche sind Christen, Mesut ist ein Muslim. Wir sind nun mal alle unterschiedliche Menschen, aber wir haben in unserem Team ein sportliches Ziel. Außerdem sind wir in Deutschland groß geworden und bekennen uns zu diesem Land.

DFB.de: Bundeskanzlerin Angela Merkel sagt, der Fußball sei ein Integrationsmotor. Stimmen Sie zu?

Boateng: Auf jeden Fall, davon bin ich fest überzeugt und das habe ich selbst erfahren. Miteinander Fußball zu spielen, bringt die Leute zusammen, nicht nur bei uns in der Nationalmannschaft, sondern vor allem an der Basis, bei den Kindern, Jugendlichen und den Amateuren. In Deutschland gibt es heute viele positive Beispiele, wo Integration sehr gut gelungen ist. Dabei ist die Sprache entscheidend, weshalb ich mich vor einiger Zeit in der Kampagne "Rein ins Leben, raus mit der Sprache" engagiert habe. Mesut und Sami und vielleicht auch ich haben eine Vorbildrolle. Wir beweisen, dass man mit besonderen Leistungen viel erreichen kann. Und umgekehrt fühle ich mich geachtet und geschätzt von den Fans. Wir als Nationalmannschaft können ein Vorbild für das ganze Land sein – und sind es mittlerweile auch.