Bierhoff zur Katar-Reise: "Auch hinter die Kulissen schauen"

Eine Delegation der deutschen Nationalmannschaft um DFB-Direktor Oliver Bierhoff und Bundestrainer Hansi Flick reist heute nach Katar, das Gastgeberland der WM 2022. Vorher spricht Bierhoff im DFB.de-Interview über die Vorfreude auf das nächste große Turnier, die Unterkunftssuche und das Einhalten menschenrechtlicher Kriterien.

DFB.de: Herr Bierhoff, Sie brechen gemeinsam mit Bundestrainer Hansi Flick und seinen Assistenztrainern Danny Röhl und Marcus Sorg sowie Teammanager Thomas Beheshti und Benedikt Höwedes zu einer viertätigen Vorreise nach Katar auf, dem Gastgeberland der Weltmeisterschaft 2022. Wie groß ist Ihre Vorfreude auf dieses Turnier im kommenden Jahr?

Oliver Bierhoff: Wir sind sehr froh, dass wir im Oktober als erste Nation überhaupt vorzeitig die sportliche Qualifikation für die Weltmeisterschaft perfekt gemacht haben. Wenn man sieht, dass der aktuelle Europameister Italien und Portugal, der Europameister von 2016, den Umweg über die Playoffs im März nehmen müssen und es dann am Ende nur eine dieser großen Fußballnationen überhaupt zur WM schafft, dürfen wir darauf schon ein bisschen stolz sein. Auch wenn wir die Höhe der Siege und die Qualität der Gegner in unserer Qualifikationsgruppe natürlich richtig einzuordnen wissen. Wir wollen aber bei der WM nicht nur mitspielen, sondern eine gute Rolle spielen. Diesen Ehrgeiz habe nicht nur ich, den haben vor allem die Spieler und Bundestrainer Hansi Flick. Unser Kapitän Manuel Neuer hat es stellvertretend für seine Mannschaft gesagt: Die Spieler wollen Weltmeister werden. Diesen Anspruch haben sie, die sich in ihren Vereinen regelmäßig mit den besten Spielern der Welt messen, an sich selbst. Sie gehen in jedes Turnier, um es zu gewinnen. Das ist auch in Katar so. Sonst wird bei dieser WM vieles anders sein.

DFB.de: Was meinen Sie konkret?

Bierhoff: Es wird nicht nur die erste WM in der muslimischen Welt und dazu im Winter, für welche die nationalen Ligen unterbrochen werden und es deshalb kaum Vorbereitungszeit gibt. Vor allem hat der Weltverband FIFA erst im November 2017 beschlossen, bei allen künftigen Turnieren menschenrechtliche Mindestkriterien zugrunde zu legen - und dass entsprechende Standards etwa mit Blick auf Arbeitsschutz, freie Meinungsäußerung oder Inklusion schon vor der Vergabe gewährleistet werden müssen. Aus diesem Grund werden wir nun, da wir in den kommenden Tagen in Katar mehrere mögliche Teamquartiere prüfen, auch Kriterien anlegen, die man sonst vor allem aus der Wirtschaft kennt. Es wird nicht reichen, allein zu schauen, welches Quartier die besten Bedingungen für den sportlichen Erfolg bietet. Wir wollen anhand von Gesprächen, Analysen und Vereinbarungen sicherstellen, dass unsere Geschäftspartner und Dienstleister vor Ort sich zur Einhaltung menschen- und arbeitsrechtlicher Standards bekennen und dies auch dokumentieren.

DFB.de: Wie kann das aussehen?

Bierhoff: Uns ist sehr daran gelegen, einen vernünftigen Prozess zur Überprüfung von Arbeitsstandards durchzuführen. Der DFB ist im Austausch mit der FIFA, UEFA und weiteren Verbänden, um bestimmte Standards und Verfahrensweisen zur Überprüfung festzulegen. 

DFB.de: Über diesen Prozess hinaus: Was planen Sie mit Blick auf die Situation in Katar noch im Vorfeld der WM?

Bierhoff: Der DFB steht im Austausch mit Nichtregierungsorganisationen wie Human Rights Watch und Amnesty International, ich habe mich bereits persönlich mit Vertreter*innen getroffen. Jetzt, da wir für das Turnier qualifiziert sind und die Planungen konkreter werden, wollen wir diesen Austausch verstärken. Wir planen zum Beispiel einen Informationsaustausch mit der Mannschaft im Rahmen der nächsten Länderspielperiode. Wir wünschen uns mündige Spieler, die auch über den Sport hinaus gut informiert sind. Es geht vor allem darum, den Expert*innen, die die Bedingungen vor Ort aus eigener Anschauung kennen, zuzuhören und zu lernen, um uns ein möglichst objektives Bild machen zu können. Auch die Fans sollen gehört werden. Wir hören immer wieder die Botschaft: Auch wenn noch längst nicht alles gut ist, hat sich bereits viel verbessert in Katar, die Fortschritte sind groß. Wir müssen nun alle gemeinsam darauf drängen, dass sie auch nachhaltig sind. Geben wir dem Turnier in Katar eine Chance.

DFB.de: Wie sieht Ihr Programm in Katar aus?

Bierhoff: Neben dem Besuch einer Halbfinalpartie des FIFA Arab Cups in Doha wollen wir uns vor Ort vor allem mehrere mögliche Quartiere anschauen, Informationen und Eindrücke sammeln, mit den Menschen in Kontakt kommen und dann nach Möglichkeit eine Entscheidung für einen Standort treffen, damit wir frühzeitig Planungssicherheit haben. Ganz grundsätzlich stellt sich in Katar die Frage: Gehen wir in die Hauptstadt Doha, um trotz des während der WM zu erwartenden starken Verkehrsaufkommens möglichst kurze Wege zu haben? Oder gehen wir vor die Tore der Hauptstadt, wo wir ruhiger trainieren und wohnen und uns vielleicht wie in Brasilien 2014 wieder unsere eigene kleine Oase schaffen können, dafür aber längere Anreisen in Kauf nehmen müssten? Wobei die Distanzen in Katar im Vergleich zu früheren WM-Austragungsländern ja generell sehr übersichtlich sind. Wir erhoffen uns natürlich perfekte Rahmenbedingungen für die Mannschaft, um optimale Voraussetzungen für den sportlichen Erfolg zu schaffen. Aber wir müssen dieses Mal auch hinter die Kulissen schauen und werden sicher kein eigenes Quartier bauen.

[al]

Eine Delegation der deutschen Nationalmannschaft um DFB-Direktor Oliver Bierhoff und Bundestrainer Hansi Flick reist heute nach Katar, das Gastgeberland der WM 2022. Vorher spricht Bierhoff im DFB.de-Interview über die Vorfreude auf das nächste große Turnier, die Unterkunftssuche und das Einhalten menschenrechtlicher Kriterien.

DFB.de: Herr Bierhoff, Sie brechen gemeinsam mit Bundestrainer Hansi Flick und seinen Assistenztrainern Danny Röhl und Marcus Sorg sowie Teammanager Thomas Beheshti und Benedikt Höwedes zu einer viertätigen Vorreise nach Katar auf, dem Gastgeberland der Weltmeisterschaft 2022. Wie groß ist Ihre Vorfreude auf dieses Turnier im kommenden Jahr?

Oliver Bierhoff: Wir sind sehr froh, dass wir im Oktober als erste Nation überhaupt vorzeitig die sportliche Qualifikation für die Weltmeisterschaft perfekt gemacht haben. Wenn man sieht, dass der aktuelle Europameister Italien und Portugal, der Europameister von 2016, den Umweg über die Playoffs im März nehmen müssen und es dann am Ende nur eine dieser großen Fußballnationen überhaupt zur WM schafft, dürfen wir darauf schon ein bisschen stolz sein. Auch wenn wir die Höhe der Siege und die Qualität der Gegner in unserer Qualifikationsgruppe natürlich richtig einzuordnen wissen. Wir wollen aber bei der WM nicht nur mitspielen, sondern eine gute Rolle spielen. Diesen Ehrgeiz habe nicht nur ich, den haben vor allem die Spieler und Bundestrainer Hansi Flick. Unser Kapitän Manuel Neuer hat es stellvertretend für seine Mannschaft gesagt: Die Spieler wollen Weltmeister werden. Diesen Anspruch haben sie, die sich in ihren Vereinen regelmäßig mit den besten Spielern der Welt messen, an sich selbst. Sie gehen in jedes Turnier, um es zu gewinnen. Das ist auch in Katar so. Sonst wird bei dieser WM vieles anders sein.

DFB.de: Was meinen Sie konkret?

Bierhoff: Es wird nicht nur die erste WM in der muslimischen Welt und dazu im Winter, für welche die nationalen Ligen unterbrochen werden und es deshalb kaum Vorbereitungszeit gibt. Vor allem hat der Weltverband FIFA erst im November 2017 beschlossen, bei allen künftigen Turnieren menschenrechtliche Mindestkriterien zugrunde zu legen - und dass entsprechende Standards etwa mit Blick auf Arbeitsschutz, freie Meinungsäußerung oder Inklusion schon vor der Vergabe gewährleistet werden müssen. Aus diesem Grund werden wir nun, da wir in den kommenden Tagen in Katar mehrere mögliche Teamquartiere prüfen, auch Kriterien anlegen, die man sonst vor allem aus der Wirtschaft kennt. Es wird nicht reichen, allein zu schauen, welches Quartier die besten Bedingungen für den sportlichen Erfolg bietet. Wir wollen anhand von Gesprächen, Analysen und Vereinbarungen sicherstellen, dass unsere Geschäftspartner und Dienstleister vor Ort sich zur Einhaltung menschen- und arbeitsrechtlicher Standards bekennen und dies auch dokumentieren.

DFB.de: Wie kann das aussehen?

Bierhoff: Uns ist sehr daran gelegen, einen vernünftigen Prozess zur Überprüfung von Arbeitsstandards durchzuführen. Der DFB ist im Austausch mit der FIFA, UEFA und weiteren Verbänden, um bestimmte Standards und Verfahrensweisen zur Überprüfung festzulegen. 

DFB.de: Über diesen Prozess hinaus: Was planen Sie mit Blick auf die Situation in Katar noch im Vorfeld der WM?

Bierhoff: Der DFB steht im Austausch mit Nichtregierungsorganisationen wie Human Rights Watch und Amnesty International, ich habe mich bereits persönlich mit Vertreter*innen getroffen. Jetzt, da wir für das Turnier qualifiziert sind und die Planungen konkreter werden, wollen wir diesen Austausch verstärken. Wir planen zum Beispiel einen Informationsaustausch mit der Mannschaft im Rahmen der nächsten Länderspielperiode. Wir wünschen uns mündige Spieler, die auch über den Sport hinaus gut informiert sind. Es geht vor allem darum, den Expert*innen, die die Bedingungen vor Ort aus eigener Anschauung kennen, zuzuhören und zu lernen, um uns ein möglichst objektives Bild machen zu können. Auch die Fans sollen gehört werden. Wir hören immer wieder die Botschaft: Auch wenn noch längst nicht alles gut ist, hat sich bereits viel verbessert in Katar, die Fortschritte sind groß. Wir müssen nun alle gemeinsam darauf drängen, dass sie auch nachhaltig sind. Geben wir dem Turnier in Katar eine Chance.

DFB.de: Wie sieht Ihr Programm in Katar aus?

Bierhoff: Neben dem Besuch einer Halbfinalpartie des FIFA Arab Cups in Doha wollen wir uns vor Ort vor allem mehrere mögliche Quartiere anschauen, Informationen und Eindrücke sammeln, mit den Menschen in Kontakt kommen und dann nach Möglichkeit eine Entscheidung für einen Standort treffen, damit wir frühzeitig Planungssicherheit haben. Ganz grundsätzlich stellt sich in Katar die Frage: Gehen wir in die Hauptstadt Doha, um trotz des während der WM zu erwartenden starken Verkehrsaufkommens möglichst kurze Wege zu haben? Oder gehen wir vor die Tore der Hauptstadt, wo wir ruhiger trainieren und wohnen und uns vielleicht wie in Brasilien 2014 wieder unsere eigene kleine Oase schaffen können, dafür aber längere Anreisen in Kauf nehmen müssten? Wobei die Distanzen in Katar im Vergleich zu früheren WM-Austragungsländern ja generell sehr übersichtlich sind. Wir erhoffen uns natürlich perfekte Rahmenbedingungen für die Mannschaft, um optimale Voraussetzungen für den sportlichen Erfolg zu schaffen. Aber wir müssen dieses Mal auch hinter die Kulissen schauen und werden sicher kein eigenes Quartier bauen.

###more###