5000 Kilometer und ein Traktor: Der Weg ist das Ziel

Er hatte Zeit, Lust - und einen Traktor. Mit 20 km/h fuhr Hubert Wirth in diesem Sommer zur Fußball-WM. Drei Monate war er unterwegs, legte dabei mehr als 5000 Kilometer zurück. Und erlebte das Abenteuer seines Lebens. Als Anerkennung für so viel Einsatz gab es für den 70-Jährigen Karten für das heutige Spiel gegen Russland (ab 20.45 Uhr, live auf RTL und im Fan-Radio) und die Mitgliedschaft im Fan Club Nationalmannschaft.

"Hätte ich gewusst, was diese Reise alles für Auswirkungen haben würde…" Diesen Satz wiederholt Hubert Wirth immer wieder, als er von seiner Tour mit dem Traktor erzählt. Er hätte sich alles aufgeschrieben, bessere Fotos gemacht. Jetzt hat er alles nur im Kopf – und viel zu erzählen.

Wie er darauf kam mit einem Traktor, einem sondergefertigten Anhänger und seiner Dackeldame zur WM nach Moskau zu fahren? Für Hubert Wirth eine Frage wie jede andere, mit einer durchaus logischen Antwort. Früher habe er jahrelang Wohnmobil-Urlaub gemacht, doch wenn er mal auf einer Wiese übernachten wollte, kam die Polizei und verwies ihn auf die naheliegenden Campingplätze. Das sollte sich 2014 mit dem Kauf seines Traktors ändern. Während der folgenden Reisen nach Sardinien und Korsika, verwies die Polizei alle Wohnmobile, nur bei ihm setzten sie sich für einen Plausch aufs Holzbänkchen.

"Das ist die totale Entschleunigung"

Dass sein "Lanz Bulldog", Baujahr 1936, nur 20 Kilometer in der Stunde zurücklegt, stört ihn nicht, im Gegenteil: "Das ist die totale Entschleunigung", sagt er. Hubert Wirth ist 70. Im Alter muss nicht mehr alles in Höchstgeschwindigkeit und Hektik laufen. Besondere Momente nimmt man ohnehin besonders wahr, wenn man ein zweites Mal hinschauen kann. Im Traktor-Tempo geht das.

2016 war Wirth auf große Reise gegangen mit seinem besonderen Gefährt, in Portugal hatte er einen Freund besucht. Auf dem Heimweg, zur EM-Zeit, erlebte er die Atmosphäre am Spielort Lille. "Diese Atmosphäre beim Fanfest, mit all den Leuten, das kann nur der Sport, nur der Fußball – und das wollte ich noch mal erleben." Also fing Wirth wieder an zu arbeiten, schuftete zwei Jahre lang bei seiner alten Firma als LKW-Fahrer mit dem großen Ziel: Moskau, die WM 2018.

Hexe auf dem Bulldog

Montag, 14. Mai, Schellbronn bei Pforzheim. Vor seinem Haus startet Hubert Wirth den Motor seines Traktors, fünf bis zehn Minuten dauert das. Als der verrostete Auspuff schwarze Rauchwolken spuckt, setzt Wirth Dackeldame "Hexe" in den Korb im Führerhaus, sich daneben und tritt aufs Gas. Über Landstraßen und Feldwege tuckert das ungewöhnliche Gespann mit 20 PS Richtung Tschechien, unterbrochen nur durch eine kleine Panne, die ein Bauer in seiner Garage wieder beheben kann. "So war es immer", sagt der 70-Jährige, "die paar Male, als der Bulldog Probleme gemacht hat, waren die richtigen Leute zur Stelle."

Probleme, generell ein Fremdwort für Hubert Wirth. "So viele haben mich gewarnt vor dieser Tour", sagt er heute, "alles Vorurteile." Das Traktor-Anhänger-Gespann ist für ihn ein Türöffner, für Übernachtungsmöglichkeiten – er campt insgesamt nur dreimal auf einem Campingplatz – und unvergessliche Begegnungen. Auch die Polizei reagiert wie auf seinen vorherigen Reisen und hält ihn nur an, um Fotos zu machen.

Als in Weißrussland der Feuerwehrmann Alex Wirths Geschichte ins Internet stellt, öffnet sich eine weitere Tür für ihn - die zu den internationalen Medien. Von diesem Zeitpunkt an melden sich fast täglich Zeitungen, Radio- und Fernsehsender. In Moskau wird er einige Wochen später von Kamerateams und Reportern empfangen. Auf dem Campingplatz lernt er die Fan Club-Mitglieder Michael und Gottfried kennen. Zusammen geben sie Journalisten aus Saudi-Arabien ein Interview. "Ich musste mich wirklich dran gewöhnen, dass morgens um 7 Uhr Reporter an mein Wägele klopften", sagt Wirth.

Mexikanische Freunde

Doch der Medienrummel hat auch seine Vorteile. Über den Sender "Moskau24" bekommt er kurzfristig noch eine Karte für das Auftaktspiel der deutschen Mannschaft – in einer mexikanischen VIP-Lounge. Vor dem Anpfiff darf er mit seinem Traktor ins Stadion fahren, ein Mitarbeiter des russischen Sportministeriums übergibt ihm einen signierten Ball. Nach dem Abpfiff liegen ihm die Mexikaner in den Armen und entschuldigen sich für den Sieg ihres Teams. "Keiner wollte, dass die Deutschen ausscheiden", sagt er heute.

Elf Tage nach der Partie ist er ein zweites Mal im Luzhniki-Stadion, diesmal mit seinem vor der WM bestellten Ticket. "Frankreich gegen Dänemark 0:0" steht von der ersten bis zur letzten Spielminute auf der Anzeigetafel. Das vermutlich langweiligste Spiel der WM, es findet in Wirths Erzählungen kaum Beachtung.

Auch das Ausscheiden der Deutschen wird zur Nebensache und ist erst recht kein Grund nach Hause zu fahren. Stattdessen tuckert er von Moskau nach St. Petersburg. Dort öffnet ihm seine Bekanntheit sogar eine Museumstür. Ein Wärter hat, als er die Ausstellung schließen will, den parkenden Traktor erkannt. Für Wirth macht er jedoch eine Ausnahme und führt ihn durch deutsch-russische Kriegsgeschichte. Als der Mann merkt wie es Wirth bei dem Anblick der Panzer geht, nimmt er ihn in den Arm und sagt auf Englisch: "Hubert, das ist alles Vergangenheit. Wir sind jetzt Freunde." Es ist eine der Begegnungen, die der 70-Jährige im Nachhinein als Höhepunkte der Reise, als "diese Verbindung zwischen Sportevent und Kultur", bezeichnen wird. Und die für ihn viel wichtiger sind als ein Tor oder ein Sieg.

[jh]

Er hatte Zeit, Lust - und einen Traktor. Mit 20 km/h fuhr Hubert Wirth in diesem Sommer zur Fußball-WM. Drei Monate war er unterwegs, legte dabei mehr als 5000 Kilometer zurück. Und erlebte das Abenteuer seines Lebens. Als Anerkennung für so viel Einsatz gab es für den 70-Jährigen Karten für das heutige Spiel gegen Russland (ab 20.45 Uhr, live auf RTL und im Fan-Radio) und die Mitgliedschaft im Fan Club Nationalmannschaft.

"Hätte ich gewusst, was diese Reise alles für Auswirkungen haben würde…" Diesen Satz wiederholt Hubert Wirth immer wieder, als er von seiner Tour mit dem Traktor erzählt. Er hätte sich alles aufgeschrieben, bessere Fotos gemacht. Jetzt hat er alles nur im Kopf – und viel zu erzählen.

Wie er darauf kam mit einem Traktor, einem sondergefertigten Anhänger und seiner Dackeldame zur WM nach Moskau zu fahren? Für Hubert Wirth eine Frage wie jede andere, mit einer durchaus logischen Antwort. Früher habe er jahrelang Wohnmobil-Urlaub gemacht, doch wenn er mal auf einer Wiese übernachten wollte, kam die Polizei und verwies ihn auf die naheliegenden Campingplätze. Das sollte sich 2014 mit dem Kauf seines Traktors ändern. Während der folgenden Reisen nach Sardinien und Korsika, verwies die Polizei alle Wohnmobile, nur bei ihm setzten sie sich für einen Plausch aufs Holzbänkchen.

"Das ist die totale Entschleunigung"

Dass sein "Lanz Bulldog", Baujahr 1936, nur 20 Kilometer in der Stunde zurücklegt, stört ihn nicht, im Gegenteil: "Das ist die totale Entschleunigung", sagt er. Hubert Wirth ist 70. Im Alter muss nicht mehr alles in Höchstgeschwindigkeit und Hektik laufen. Besondere Momente nimmt man ohnehin besonders wahr, wenn man ein zweites Mal hinschauen kann. Im Traktor-Tempo geht das.

2016 war Wirth auf große Reise gegangen mit seinem besonderen Gefährt, in Portugal hatte er einen Freund besucht. Auf dem Heimweg, zur EM-Zeit, erlebte er die Atmosphäre am Spielort Lille. "Diese Atmosphäre beim Fanfest, mit all den Leuten, das kann nur der Sport, nur der Fußball – und das wollte ich noch mal erleben." Also fing Wirth wieder an zu arbeiten, schuftete zwei Jahre lang bei seiner alten Firma als LKW-Fahrer mit dem großen Ziel: Moskau, die WM 2018.

Hexe auf dem Bulldog

Montag, 14. Mai, Schellbronn bei Pforzheim. Vor seinem Haus startet Hubert Wirth den Motor seines Traktors, fünf bis zehn Minuten dauert das. Als der verrostete Auspuff schwarze Rauchwolken spuckt, setzt Wirth Dackeldame "Hexe" in den Korb im Führerhaus, sich daneben und tritt aufs Gas. Über Landstraßen und Feldwege tuckert das ungewöhnliche Gespann mit 20 PS Richtung Tschechien, unterbrochen nur durch eine kleine Panne, die ein Bauer in seiner Garage wieder beheben kann. "So war es immer", sagt der 70-Jährige, "die paar Male, als der Bulldog Probleme gemacht hat, waren die richtigen Leute zur Stelle."

Probleme, generell ein Fremdwort für Hubert Wirth. "So viele haben mich gewarnt vor dieser Tour", sagt er heute, "alles Vorurteile." Das Traktor-Anhänger-Gespann ist für ihn ein Türöffner, für Übernachtungsmöglichkeiten – er campt insgesamt nur dreimal auf einem Campingplatz – und unvergessliche Begegnungen. Auch die Polizei reagiert wie auf seinen vorherigen Reisen und hält ihn nur an, um Fotos zu machen.

Als in Weißrussland der Feuerwehrmann Alex Wirths Geschichte ins Internet stellt, öffnet sich eine weitere Tür für ihn - die zu den internationalen Medien. Von diesem Zeitpunkt an melden sich fast täglich Zeitungen, Radio- und Fernsehsender. In Moskau wird er einige Wochen später von Kamerateams und Reportern empfangen. Auf dem Campingplatz lernt er die Fan Club-Mitglieder Michael und Gottfried kennen. Zusammen geben sie Journalisten aus Saudi-Arabien ein Interview. "Ich musste mich wirklich dran gewöhnen, dass morgens um 7 Uhr Reporter an mein Wägele klopften", sagt Wirth.

Mexikanische Freunde

Doch der Medienrummel hat auch seine Vorteile. Über den Sender "Moskau24" bekommt er kurzfristig noch eine Karte für das Auftaktspiel der deutschen Mannschaft – in einer mexikanischen VIP-Lounge. Vor dem Anpfiff darf er mit seinem Traktor ins Stadion fahren, ein Mitarbeiter des russischen Sportministeriums übergibt ihm einen signierten Ball. Nach dem Abpfiff liegen ihm die Mexikaner in den Armen und entschuldigen sich für den Sieg ihres Teams. "Keiner wollte, dass die Deutschen ausscheiden", sagt er heute.

Elf Tage nach der Partie ist er ein zweites Mal im Luzhniki-Stadion, diesmal mit seinem vor der WM bestellten Ticket. "Frankreich gegen Dänemark 0:0" steht von der ersten bis zur letzten Spielminute auf der Anzeigetafel. Das vermutlich langweiligste Spiel der WM, es findet in Wirths Erzählungen kaum Beachtung.

Auch das Ausscheiden der Deutschen wird zur Nebensache und ist erst recht kein Grund nach Hause zu fahren. Stattdessen tuckert er von Moskau nach St. Petersburg. Dort öffnet ihm seine Bekanntheit sogar eine Museumstür. Ein Wärter hat, als er die Ausstellung schließen will, den parkenden Traktor erkannt. Für Wirth macht er jedoch eine Ausnahme und führt ihn durch deutsch-russische Kriegsgeschichte. Als der Mann merkt wie es Wirth bei dem Anblick der Panzer geht, nimmt er ihn in den Arm und sagt auf Englisch: "Hubert, das ist alles Vergangenheit. Wir sind jetzt Freunde." Es ist eine der Begegnungen, die der 70-Jährige im Nachhinein als Höhepunkte der Reise, als "diese Verbindung zwischen Sportevent und Kultur", bezeichnen wird. Und die für ihn viel wichtiger sind als ein Tor oder ein Sieg.