Vor einem Jahr: "Manu, der Libero" ist geboren

Vor einem Jahr - da war doch was. Sommer 2014, sieben Spiele bis zum Glück. Es begann in Salvador mit einem Traum, es endete in Rio mit dessen Erfüllung. Ein Jahr nach dem Triumph von Maracana lässt DFB.de die sieben deutschen Spiele bei der WM 2014 in Brasilien noch mal Revue passieren. Heute vor 365 Tagen - zum Auftakt: Geschichten rund um das 2:1 nach Verlängerung im Achtelfinale gegen Algerien am 30. Juni 2014.

Sorry, Fans, das ging mal gar nicht. Einen Spieler als Besten auszuzeichnen, der in allen relevanten Parametern deutlich unter dem Schnitt lag. Wie nach jedem Spiel wurde auch nach dem Achtelfinale gegen Algerien durch den Fan Club Nationalmannschaft powered by Coca Cola der Man of the Match gesucht. Die Wahl war eindeutig: 88,52 Prozent der Stimmen konnte der Gewinner auf sich vereinen. Dabei, wie gesagt, war der Gewählte statistisch der Schlechteste.

Durchschnittlich ist das Team im Spiel gegen Algerien 10,6 Kilometer gelaufen, der Spieler des Spiels hat lediglich 5,5 Kilometer zurückgelegt. Noch düsterer wird das Bild bei näherer Betrachtung: Über 96 Prozent der Spielzeit wurde ihm von den Statistikern niedrige Aktivität bescheinigt. Genau genommen hat der Spieler des Spiels so wenig am Spiel teilgenommen wie kein anderer. Dazu ein weiterer Wert: Er ist nur sechsmal gesprintet, der Rest der Mannschaft im Schnitt 41-mal. Wer es böse mit ihm meint, könnte Manuel Neuer sogar eine gewisse Faulheit unterstellen.

Überragender Neuer

Okay, genug der Albernheit. Dieser Spieler war und ist mit keinem anderen zu vergleichen. Denn der Spieler des Spiels ist kein Feldspieler, er ist Torhüter: Manuel Neuer. Alle Hymnen auf ihn sind berechtigt, generell, noch mehr waren sie es nach dem Spiel gegen Algerien. 120 Minuten, in denen der Torhüter den Torhüter neu definiert hat. Neuers Leistung im WM-Achtelfinale ist für vieles ein Beleg: Dafür, dass Torhüter nicht zwingend Paraden zeigen müssen, um eine überragende Leistung zu vollbringen. Dafür, dass Ausflüge von Torhütern nicht zwingend zu Herzattacken bei ihren Trainern führen müssen.

Und auch dafür, wie sehr man sich täuschen kann. Denn, mal Hand aufs Herz, wer hätte das gedacht: Neuer war im Spiel gegen Algerien für seine Verhältnisse überdurchschnittlich stoisch. 5,5 Kilometer hat er zurückgelegt – in 120 Minuten. Sein Wert in der regulären Spielzeit: 3,8 Kilometer. Das grenzt fast an Arbeitsverweigerung - auch in seinem Fall. Zur Illustration ein Wert aus der Qualifikation: Nach dem Spiel gegen Österreich hatte Neuer im September 2013 und angesichts von damals gemessenen 5,4 Kilometern gesagt: "Das ist ein ganz normaler Wert, ich liege häufig im Bereich von fünf Kilometern."

Spektakuläre Rettungsaktionen

Und ausgerechnet im Spiel, in dem Neuer zu "Manu, dem Libero" wurde, war er verhältnismäßig wenig unterwegs. Ein kurzer Blick in die Weltpresse offenbart, wie sehr der Torhüter dieses Spiel dominiert hat. Die algerische Zeitung Compétition klagte: "Ach, wenn es Neuer nicht gegeben hätte! Wir haben Deutschland das Zittern gelehrt." Tuttosport in Italien meinte: "Deutschland, vorwärts mit Mühe! Löws Truppe hat stark gegen einen zähen Gegner gelitten. Toll ist Torwart Neuer, der das Ergebnis in mindestens drei Situationen gerettet hat." Die englische Daily Mail schrieb: "Beckenbauer, Matthäus und jetzt Neuer! Der starke Keeper setzt die Reihe starker deutscher Abräumer fort." Eben: Manu, der Libero.

Neuers Ausflüge waren weniger zahlreich, dafür waren sie umso spektakulärer. In historischer Reihenfolge: In der neunten Minute verließ Deutschlands Nummer eins ihren Strafraum, um gegen Islam Slimani zu klären. Neuer drängte den Stürmer ab, ging ins Laufduell und bewies bei seiner finalen und klärenden Grätsche exzellentes Timing. In höchster Not fälschte Neuer den Ball noch zur Ecke ab. In der 27. Minute betätigte sich Neuer erneut als Libero, beziehungsweise eigentlich als defensiver Mittelfeldspieler. 30 Meter vor dem Tor grätschte er Sofiane Feghouli den Ball vom Fuß.

Wir springen im Spielverlauf, rein in die zweite Halbzeit: In der 71. Minute verließ Neuer wieder seinen Strafraum, diesmal klärte der Torwart per Kopf, wieder vor Slimani. In der 89. Minute trat die deutsche Nummer eins erneut außerhalb des Strafraums in Erscheinung, wieder kam Neuer vor Feghouli an das Spielgerät. Alle seine Ausflüge waren: erfolgreich. Alle seine Ausflüge waren: notwendig. Neuer hat nicht aus Mangel an Beschäftigung ins Spielgeschehen eingegriffen, Neuer hat Chancen und Risiken abgewogen und jeweils richtig entschieden: Ich muss raus, ich muss das machen.



Vor einem Jahr - da war doch was. Sommer 2014, sieben Spiele bis zum Glück. Es begann in Salvador mit einem Traum, es endete in Rio mit dessen Erfüllung. Ein Jahr nach dem Triumph von Maracana lässt DFB.de die sieben deutschen Spiele bei der WM 2014 in Brasilien noch mal Revue passieren. Heute vor 365 Tagen - zum Auftakt: Geschichten rund um das 2:1 nach Verlängerung im Achtelfinale gegen Algerien am 30. Juni 2014.

Sorry, Fans, das ging mal gar nicht. Einen Spieler als Besten auszuzeichnen, der in allen relevanten Parametern deutlich unter dem Schnitt lag. Wie nach jedem Spiel wurde auch nach dem Achtelfinale gegen Algerien durch den Fan Club Nationalmannschaft powered by Coca Cola der Man of the Match gesucht. Die Wahl war eindeutig: 88,52 Prozent der Stimmen konnte der Gewinner auf sich vereinen. Dabei, wie gesagt, war der Gewählte statistisch der Schlechteste.

Durchschnittlich ist das Team im Spiel gegen Algerien 10,6 Kilometer gelaufen, der Spieler des Spiels hat lediglich 5,5 Kilometer zurückgelegt. Noch düsterer wird das Bild bei näherer Betrachtung: Über 96 Prozent der Spielzeit wurde ihm von den Statistikern niedrige Aktivität bescheinigt. Genau genommen hat der Spieler des Spiels so wenig am Spiel teilgenommen wie kein anderer. Dazu ein weiterer Wert: Er ist nur sechsmal gesprintet, der Rest der Mannschaft im Schnitt 41-mal. Wer es böse mit ihm meint, könnte Manuel Neuer sogar eine gewisse Faulheit unterstellen.

Überragender Neuer

Okay, genug der Albernheit. Dieser Spieler war und ist mit keinem anderen zu vergleichen. Denn der Spieler des Spiels ist kein Feldspieler, er ist Torhüter: Manuel Neuer. Alle Hymnen auf ihn sind berechtigt, generell, noch mehr waren sie es nach dem Spiel gegen Algerien. 120 Minuten, in denen der Torhüter den Torhüter neu definiert hat. Neuers Leistung im WM-Achtelfinale ist für vieles ein Beleg: Dafür, dass Torhüter nicht zwingend Paraden zeigen müssen, um eine überragende Leistung zu vollbringen. Dafür, dass Ausflüge von Torhütern nicht zwingend zu Herzattacken bei ihren Trainern führen müssen.

Und auch dafür, wie sehr man sich täuschen kann. Denn, mal Hand aufs Herz, wer hätte das gedacht: Neuer war im Spiel gegen Algerien für seine Verhältnisse überdurchschnittlich stoisch. 5,5 Kilometer hat er zurückgelegt – in 120 Minuten. Sein Wert in der regulären Spielzeit: 3,8 Kilometer. Das grenzt fast an Arbeitsverweigerung - auch in seinem Fall. Zur Illustration ein Wert aus der Qualifikation: Nach dem Spiel gegen Österreich hatte Neuer im September 2013 und angesichts von damals gemessenen 5,4 Kilometern gesagt: "Das ist ein ganz normaler Wert, ich liege häufig im Bereich von fünf Kilometern."

Spektakuläre Rettungsaktionen

Und ausgerechnet im Spiel, in dem Neuer zu "Manu, dem Libero" wurde, war er verhältnismäßig wenig unterwegs. Ein kurzer Blick in die Weltpresse offenbart, wie sehr der Torhüter dieses Spiel dominiert hat. Die algerische Zeitung Compétition klagte: "Ach, wenn es Neuer nicht gegeben hätte! Wir haben Deutschland das Zittern gelehrt." Tuttosport in Italien meinte: "Deutschland, vorwärts mit Mühe! Löws Truppe hat stark gegen einen zähen Gegner gelitten. Toll ist Torwart Neuer, der das Ergebnis in mindestens drei Situationen gerettet hat." Die englische Daily Mail schrieb: "Beckenbauer, Matthäus und jetzt Neuer! Der starke Keeper setzt die Reihe starker deutscher Abräumer fort." Eben: Manu, der Libero.

Neuers Ausflüge waren weniger zahlreich, dafür waren sie umso spektakulärer. In historischer Reihenfolge: In der neunten Minute verließ Deutschlands Nummer eins ihren Strafraum, um gegen Islam Slimani zu klären. Neuer drängte den Stürmer ab, ging ins Laufduell und bewies bei seiner finalen und klärenden Grätsche exzellentes Timing. In höchster Not fälschte Neuer den Ball noch zur Ecke ab. In der 27. Minute betätigte sich Neuer erneut als Libero, beziehungsweise eigentlich als defensiver Mittelfeldspieler. 30 Meter vor dem Tor grätschte er Sofiane Feghouli den Ball vom Fuß.

Wir springen im Spielverlauf, rein in die zweite Halbzeit: In der 71. Minute verließ Neuer wieder seinen Strafraum, diesmal klärte der Torwart per Kopf, wieder vor Slimani. In der 89. Minute trat die deutsche Nummer eins erneut außerhalb des Strafraums in Erscheinung, wieder kam Neuer vor Feghouli an das Spielgerät. Alle seine Ausflüge waren: erfolgreich. Alle seine Ausflüge waren: notwendig. Neuer hat nicht aus Mangel an Beschäftigung ins Spielgeschehen eingegriffen, Neuer hat Chancen und Risiken abgewogen und jeweils richtig entschieden: Ich muss raus, ich muss das machen.

Nach dem Spiel musste sich Neuer von seinem Trainer dennoch Kritik gefallen lassen. "Ich muss zunächst einmal tadeln: Wir haben nicht zu Null gespielt, wieder gab es ein Gegentor", sagte Andreas Köpke. Stimmt, nachdem André Schürrle (92.) und Mesut Özil (119.) in der Verlängerung getroffen hatten, sorgte Abdelmoumene Djabou in der Nachspielzeit der Verlängerung dafür, dass Neuer doch noch einmal hinter sich greifen musste. Aber es war nicht Neuers Schuld. Und die Kritik von Köpke war nicht ernst gemeint. "Spaß beiseite", fuhr Köpke fort, "es war sehr beeindruckend, das muss man ganz ehrlich sagen. Gerade weil es kein typisches Torhüter-Spiel war. Manuel hat relativ wenige Bälle halten müssen. Es war mehr das gefragt, was heute auch vom Torhüter erwartet wird: das Mitspielen, das Antizipieren. Torhüter müssen in der Lage sein, eine Art Libero zu spielen. Das hat Manuel großartig gemacht."

Qualitäten auch als Feldspieler

Unruhig wird Köpke nicht, wenn sein Schützling den Strafraum verlässt, sein Puls geht dann allenfalls minimal nach oben. "Eigentlich bin ich relativ entspannt", sagt Köpke: "Man hat nie das Gefühl, dass er zu spät kommen könnte. Er hat eine sehr gute räumliche Wahrnehmung, er kann Geschwindigkeiten und Distanzen sehr gut einschätzen. Das Gefühl, das er ausstrahlt, ist, dass er immer weiß, was er tut und nie einen Zweifel bei seinen Entscheidungen hat. Er kommt eigentlich fast immer relativ souverän an den Ball."

Und kann dann mit dem Spielgerät für einen Handarbeiter erstaunlich viel anfangen. Mit dem Ball am Fuß ist Neuer kaum weniger geschickt als seine Kollegen. In fast allen Spielen ist dies zu beobachten, in jedem Training ist dies zu beobachten. Wenn Bundestrainer Joachim Löw zu Beginn der Übungseinheiten Fünf-gegen-Zwei spielen lässt, wird Neuer eher gesucht als gemieden, seine Flanken beim Training im Team mit Ron-Robert Zieler und Roman Weidenfeller kommen mit beiden Füßen mit hoher Präzision. Für Neuers fußballerische Klasse gibt es viele Belege und eine Stellungnahme: "In der 3. Liga könnte er als Feldspieler locker mitspielen", sagt Andreas Köpke.

Nicht nur Abwehr, sondern auch Spielaufbau

Eine Untertreibung - das Spiel gegen Algerien als Maßstab genommen. Denn Neuer störte mit seinen Füßen nicht lediglich das algerische Angriffsspiel, immer wieder initiierte er auch eigene Angriffe. Etwa in der 35. Minute, als er den Ball bei einer Rettungsaktion mit seinem schwächeren linken Fuß über 50 Meter gewollt und genau auf Thomas Müller bugsierte. Oder kurz nach der Pause, als er beinahe eine Torvorlage gegeben hätte. Neuer fing erst eine Ecke ab, um mit einem weiten Abschlag über 70 Meter André Schürrle zu bedienen.

Neuer selbst redete nach dem Spiel nur ungern über seine eigene Leistung. Die Komplimente nahm er artig entgegen, den Fokus lenkte er dann schnell weg vom Individuum hin zur Mannschaft. In seinem ersten Statement nach dem Schlusspfiff sagte Neuer: "Als der André (Schürrle, d. Red) kam, war ein bisschen Zug drin. Das hat Schwung gebracht, das tat uns gut."

Neuers Bemühungen waren vergebens, denn keine Frage: Gegen Algerien war der Torhüter nicht nur in der Wahl des Fan Club Nationalmannschaft der Spieler des Spiels. Bei seinen vielen Ausflügen hat er gezeigt, dass der Welttorhüter 2013 auch bei der WM 2014 der Weltbeste ist.

Auf der Rückreise von Porto Alegre nach Porto Seguro gab es dafür noch einen verbalen Höhenflug. Bei seiner obligatorischen Ansprache über das Bordtelefon wich DFB-Präsident Wolfgang Niersbach von seiner Gewohnheit ab, keinen Spieler gesondert zu erwähnen. Seinen Dank an das Team für das Erreichen des Viertelfinals schloss Niersbach mit diesen Worten: "Manu, was Du heute geleistet hast, war einfach absolute Weltklasse."